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Kommentar zu Otto Wiesheu in der Welt
geschrieben von BahnInfo-Redaktion 
Otto Wiesheu (CSU) gab der im Axel-Springer-Verlag erscheinenden Tageszeit „Die Welt“ ein Interview. Der 63jährige war bis 2005 bayrischer Wirtschafts- und Verkehrsminister, bevor er im Vorstand der Deutsche Bahn AG das Ressort Wirtschaft und Politik übernahm.


Durch den Kapitalmarkt wird der Leistungsdruck auf uns noch einmal spürbar wachsen. Wir gehen davon aus, dass davon sowohl der Verkehrsträger Schiene als auch unsere Kunden weiter profitieren werden

Ja, denn Investoren wollen Rendite sehen. Rendite, die eine Edelspedition wie Schenker bringt, Rendite, die man im Ausland erwirtschaften kann, aber die eben nicht etwa durch einen InterCity nach Norddeich, nach Stralsund, nach Marktredwitz oder nach Lindau am Bodensee erwirtschaftet werden kann. Der Verkehrsträger Schiene selbst profitiert dadurch, daß die Eisenbahninfrastruktur im Besitz des Bundes bleibt, allerdings immer noch unter großer Abhängigkeit der Deutschen Bahn AG. 75% und eine Aktie der DB Mobility&Logistics AG bleiben beim Mutterkonzern. Das bedeutet, daß 75% der Dividende an den Mutterkonzern gehen und in diesem verbleiben müssen. Das bedeutet aber auch, daß die EVU der DB nichts weiter mehr sind als Kunden des Mutterkonzerns, daß diese keinerlei Einfluß auf die Netzplanung nehmen können. Ob das wirklich alles so kommen wird? Die Monopolkommission jedenfalls hat schon vor längerer Zeit äußerste Bedenken angemeldet.

Wir wollen unsere Kunden durch attraktive Angebote und Produktlösungen überzeugen. Niemand weiß, auch nicht der Finanzminister, was letztlich bei der Teilprivatisierung am Markt erzielt und wie viel Geld letztlich für Investitionen zu Verfügung stehen wird.

Das Geld, das bei der teilweisen Kapitalprivatisierung am Markt erzielt werden kann, muß zu 100% entweder im Mutterkonzern verbleiben oder aber an den Bund gehen. Geht auch nur ein einziger Euro davon an die DB Mobility&Logistics AG, handelt es sich um eine europarechtswidrige Beihilfe. Die Privatisierungserlöse können also entweder Steinbrücks Haushaltslöcher stopfen oder aber ins Netz gehen. Für die Anschaffung neuer Züge darf dieses Geld nicht verwendet werden. Ob man sich dran halten wird, ist nicht absehbar.

Was zum Beispiel in Bayern im Regionalverkehr gefahren wird und was nicht, entscheidet nicht die Deutsche Bahn AG sondern allein der Freistaat. Seit 1996 haben die Länder den gesetzlichen Auftrag, den Regionalverkehr bei Eisenbahn-Verkehrsunternehmen zu bestellen. Den Ländern stehen dafür die so genannten Regionalisierungsmittel zur Verfügung. Im vergangenen Jahr waren das rund sieben Milliarden Euro. Wenn das aus Sicht der Länder zu knapp ist, dann ist das ein Thema zwischen den Ländern und dem Bund. Es ist aber kein Thema zwischen den Ländern und der Bahn. Die Länder entscheiden, was wann wo gefahren wird. Wir sind hier Wettbewerber um Aufträge wie Veolia, Arriva, die Vogtlandbahn oder rund 300 andere Gesellschaften auch. Es wird das gefahren, was bestellt wird. Deshalb ist die Behauptung falsch, die Bahn könne Regionalverkehre streichen.

Das ist zwar zunächst einmal sachlich richtig, trotzdem nur die halbe Wahrheit. Richtig ist, daß die Länder vom Bund zweckgebundenes Geld kriegen (Regionalisierungsmittel), um damit den SPNV im Land zu finanzieren. Es gibt Länder, z.B. der Freistaat Bayern, die diesen Etat aus Landesmitteln aufstocken, andere Länder, z.B. Nordrhein-Westfalen, tun das nicht. Die im SPNV entstehenden Trassenbenutzungsgebühren müssen aber ebenfalls aus den Regionalisierungsmitteln finanziert werden, diese geben die ausführenden EVU 1:1 an die Besteller weiter. Diese werden grundsätzlich von der DB Netz AG festgelegt, Kosten für Bahnhofshalte von der DB Station&Service AG. Hier hat der Mutterkonzern sehr wohl Einfluß darauf, ob es für die Besteller finanzierbar ist, Nahverkehrszüge zu betreiben oder nicht. Zwar gibt es eine Bundesnetzagentur, die darüber wachen soll, daß die Trassenbenutzungsgebühren nicht zu hoch sind, doch diese ist ein zahnloser Tiger, und das ist politisch gewollt. Die BNetzA ist nicht annähernd in der Lage, über die Trassengebühren auf 34.000 Streckenkilometern zu wachen. Dazu kommen mehrere tausend Langsamfahrstellen, die die Fahrpläne kaputthauen, Anschlüsse unzuverlässig und Züge unpünktlich machen. Auch hier passiert oftmals erst dann was, wenn eine Zwangssperrung der Strecke durch das Eisenbahnbundesamt droht, erst dann tut sich etwas, auch hier fehlt ein politisches Überwachungsorgan, das in der Lage ist, über den Netzzustand und deren Zugangspreis zu wachen.

Im Fernverkehr gibt es dieses Bestellerprinzip nicht. Da gilt das Prinzip der Eigenwirtschaftlichkeit. Das bedeutet, dass Unternehmen im Fernverkehr rentabel fahren müssen. Das ist seit 1994 ein klarer gesetzlicher Auftrag des Eigentümers an die Bahn. Deswegen musste beispielsweise im Rahmen einer Strukturreform Ende 2002 der Interregio zum größten Teil vom Netz genommen werden. Das Produkt fuhr massiv Verluste ein. Das war aus unternehmerischer Sicht nicht mehr hinnehmbar.

Der InterRegio wurde, und das weiß Herr Wiesheu, systematisch kaputtgerechnet¹, weil es für die Deutsche Bahn AG sinnvoll war. Einige InterRegio-Strecken werden heute als InterCity gefahren, oftmals mit demselben Rollmaterial, allerdings sind die Fahrpreise höher. Viele InterRegio-Ersatzverkehre wurden im Nahverkehr bestellt, in manchen Ländern gibt es die Zugkategorie InterRegioExpreß, in anderen laufen diese Züge als Regionalexpreß. Und genau diese Züge konnte die Deutsche Bahn AG weiterbetreiben – mit höherer Rendite und ohne unternehmerisches Risiko. Was ist schon sicherer als ein öffentlicher Auftrag? Ähnliches wird auch beim InterCity passieren. Bereits seit Jahren siecht diese Zuggattung vor sich hin, mit jedem Fahrplanwechsel wird das Netz weiter ausgedünnt, der Taktverkehr wird auf vielen InterCity-Strecken heute schon durch die Nahverkehrszüge sichergestellt. Der einstige Slogan, mit dem die Deutsche Bundesbahn den 1971 eingeführt InterCity beworben hat, „Jede Stunde, jede Klasse, nur die Straßenbahn fährt öfter“, hat mit dem, was heute noch als InterCity unterwegs ist, überhaupt nichts mehr zu tun. Hier ist realistischerweise ebenso ein Aussterben zu erwarten wie beim InterRegio. Natürlich sagt die Bahn das nicht, die Bahn hat auch noch kurz vor der Abschaffung des InterRegio das Gegenteil behauptet. Zudem wird nicht von heute auf morgen das ganze InterCity-Netz abgeschafft oder auf ICE umgestellt, aber Stück für Stück wird es weniger. Der Fahrgastverband PRO BAHN e.V. hat einige sehr lesenswerte Texte dazu veröffentlicht, die auch hier nachlesbar sind.

Dann äußert er sich zum bestellten Fernverkehr, wie er im durch den Bundesrat verabschiedeten Fernverkehrssicherungsgesetz vorgesehen ist.

Bisher sehe ich beim Bund keine Bereitschaft, darauf einzusteigen. Die Länder müssen sich fragen, ob ein solches Prinzip auch für den Fernverkehr sinnvoll wäre. Würde auch der Fernverkehr dem Bestellerprinzip unterliegen, müsste der Bund auch unternehmerische Verluste bei schwach ausgelasteten Strecken ausgleichen. Woher soll das Geld angesichts chronisch knapper Kassen kommen?

Ja, woher soll das Geld kommen? Ohne an dieser Stelle auf die Steuersenkungsorgien für Besser- und Bestverdienende der letzten Jahre einzugehen, wer finanziert bislang die Fernverkehrsersatzleistungen? Die Länder. Oft müssen sie aus ihrem eigenen Haushalt zuschießen, weil bestimmte Verkehrsleistungen nicht mehr eigenwirtschaftlich erbracht werden. Der Vorschlag, zweckgebunden die Regionalisierungsmittel zu erhöhen, immer da, wo Fernverkehrsleistungen eingestellt werden, sind da der richtige Weg. Dazu müssen die Aufgabenträger besser zusammenarbeiten, mehr RE-Linien zu Langläufern verknüpfen, um zu gewährleisten, daß keine Bruchstellen an den Verbund- oder Ländergrenzen entstehen.

Die Länder sind gut beraten, ihre Regionalverkehre so zu organisieren, dass die Anschlüsse optimal sind. Der Schienenfernverkehr ist auf den Regionalverkehr als Zubringer angewiesen. Im vergangenen Jahr waren täglich rund 1300 Fernverkehrszüge im Einsatz. Um diese auszulasten, muss die Reisekette zwischen Regional- und Fernverkehr für den Kunden attraktiv sein.

Aber wohin sollen die Anschlüsse gehen, wenn man sich die Taktlücken im Fernverkehr anguckt? Wenn man sieht, daß bestimmte Relationen nur noch an einzelnen Tagen bedient werden, wie kann man dann von den Nahverkehrsaufgabenträgern erwarten, daß sie die Zubringer organisieren? Dazu kommt, daß die Zweckverbände langfristig denken, dort wird bereits jetzt fünf bis zehn Jahre im voraus geplant. So langfristge Bestandszusagen über Fernverkehrszüge gibt die DB Fernverkehr AG aber üblicherweise nicht. Die geben im Sommer bekannt, welche Verbindungen im Dezember eingestellt werden, zuverlässigen Verkehr bieten hier nur bestellte Züge an. Daher wird es in Zukunft immer mehr hochwertige Regionalzüge geben, auf die der Zubringerverkehr eingestellt wird. Denn wenn niemand weiß, ob ein InterCity in einem Jahr noch gefahren wird, lohnt es nicht, hier Zubringer zu organisieren.

Mit den Erlösen aus der Teilprivatisierung kann sich auch das äußere Erscheinungsbild vieler Bahnhöfe grundlegend ändern. Am meisten Investitionsbedarf haben wir bei der Vielzahl mittlerer Bahnhöfe. Viele alte Anlagen müssen von der Bildfläche verschwinden.

Man darf gespannt sein. Üblicherweise werden Bahnhofssanierungen zu einem Großteil von der öffentlichen Hand bezahlt. Aktuell läuft in Nordrhein-Westfalen die Modernisierungsoffensive 2 (MOF 2), bei der zahlreiche Bahnhöfe den modernen Standards angepaßt werden. Hier gibt es eine Invesitionssumme von über 300 Millionen Euro, allerdings bezahlt die Deutsche Bahn AG nur einen Bruchteil. Die höheren Mieteinnahmen, die aus Ladenlokalen in den Bahnhofsimmobilien kommen, die gehen dann aber voll zur DB Station&Service AG, die allerdings glücklicherweise nicht privatisiert wird.

Das ganze Interview können Sie hier lesen.

¹ Vergleiche dazu: Karl-Dieter Bodack: InterRegio. Die abenteuerliche Geschichte eines deutschen Zugsystems, Freiburg i.Br. 2005

Artikel geschrieben von Stefan Hennigfeld



3 mal bearbeitet. Zuletzt am 16.02.2009 01:15 von BahnInfo-Redaktion.
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