Stolze 512 Seiten Umfang hat das neue Werk des Harzer Eisenbahn- und Heimatforschers Winfried Dörner, welches sich mit der Südharz-Eisenbahn (SHE) befasst, deren Geschichte den Autor seit den 1980er Jahren nicht loslässt. Zuerst wurde Dörner von vielen Harzern nur belächelt, warum er sich mit der 1962 stillgelegten Bahnstrecke beschäftige: Dem damaligen Zeitgeist entsprechend, nutzen immer mehr Touristen das Auto oder den Omnibus, viele Güterkunden der SHE stiegen ebenfalls auf LKW-Verkehr um: Die Bahngesellschaft kämpfte folglich in ihren letzten Jahren ums Überleben.

Aber seit der Wende steht die SHE wieder im Interesse der durch die im Ostharz erhaltenen gebliebenen Schmalspurstrecken angelockten Eisenbahnfreunde. Schon 1991 und abermals 2009 gab es sogar Pläne für einen Wiederanschluss Braunlage an das ostharzer Schmalspurnetz. Die Stadt Braunlage beteiligte sich als Gründungsgesellschafter an den Harzer Schmalspurbahnen (HSB). Im Ort gibt es seit Jahren sogar eine HSB-Generalagentur mit Fahrkartenverkauf. Der alte SHE-Bahnhof rottet vor allerdings sich hin und sollte vor kurzem dem Neubau eines Supermarkts weichen.
Der Anschluss Braunlages an die Harzquerbahn der HSB durch eine Stichstrecke von Elend (wie einst die SHE) ist zunächst einmal nicht realisiert worden, doch sind hier die Würfel noch nicht endgültig gefallen. Für das Teilstück zwischen Braunlage und Walkenried jedoch gibt es wohl keinerlei Hoffnungen für einen Wiederaufbau. Dennoch ist die alte SHE seit dem Jahr 2011 wieder Quelle für touristische Hoffnungen, da auf ihrer ehemaligen Trasse ein neuer Radwanderweg bis hinauf nach Braunlage eröffnet werden konnte.

Dörner hat sich zur Aufgabe gemacht, mit seinem Buch ein umfangreiches Nachschlagewerk zur Südharzer Eisenbahngeschichte zu schaffen. Der Leser merkt, dass Dörner in den 28 Kapiteln seines reich bebilderten Bandes viele Aspekte rund um die Schmalspurbahn beleuchtet, und er alle erdenklichen Fragestellungen rund um die Südharz-Eisenbahn bearbeiten wollte. Dies ist ihm in einem trotz seines Umfanges kurzweiligen Buches gelungen.

Der geneigte Leser wird obgleich der vielen Kapitel über das Bahnprojekt im Südharz, einer zeitgenössischen Reisebeschreibung, einer detaillierten Streckenbeschreibung der SHE, der fünfzig Seiten starken Bahnhofsübersicht und der SHE-Betriebsgeschichte (Unternehmen, Fahrzeuge, Personal, Informationen zu den Güterkunden und Werkstattwesen) und einer ausführlichen Beschreibung der Stilllegungsgründe auf seine Kosten kommen.

Damit ist der Inhalt von Büchern über historische Bahnstrecken oft schon erschöpft, Dörner komplettiert aber seinen Band mit einem Überblick der mit der Bahn eng verstrickten Autobus-Geschichte des Harzes sowie
vielen Beschreibungen weiterer Bahnbau- und Verkehrsprojekte (wie z.B. den Plan für einen Harz-Basistunnel aus der NS-Zeit) im Verkehrsgebiet der Südharz-Eisenbahn sowie der Ortsgeschichte der acht SHE-Anrainergemeinden. Die letzten Kapitel des Bandes, gleichsam als Anhang zu sehen, mit vielen Tabellen, Zeichnungen, Faksimiles, Plänen, einer umfangreichen Chronik und geschichtlichen Gegenüberstellungen runden das Bild ab.

Der Titel „Südharz-Eisenbahn“ allein wird diesem wunderbaren Band eigentlich nicht gerecht, er könnte auch „Geschichte des Südharzes und seiner Verkehrswege“ heißen. Der Leser bekommt wesentlich mehr als die in
Eisenbahnbüchern übliche klassische historische Streckenbeschreibung geboten. Die Zahl der Seiten und insbesondere der Farbseiten und der außergewöhnliche Umfang des Buches lassen den Verkaufspreis im Vergleich zu anderen aktuellen Werken der Eisenbahnliteratur eher preiswert erscheinen.

Es bleibt als Fazit nur zu sagen: Nach dem Lesen dieses Bandes habe ich die Hoffnung, dass Dörner noch weiteren stillgelegten Verkehrswegen im Harz seine Aufmerksamkeit widmet und die Harzer Bahnfreunde bald über eine mehrbändige Enzyklopädie zu weiteren interessanten Strecken verfügen, leider ist wohl bislang kein weiterer Band zur Eisenbahngeschichte in Planung.

Winfried Dörner: Die Südharz-Eisenbahn: eine Region und ihre Bahnlinie 
512 Seiten, gebunden, Dörner-Medien-Verlag, 2012
2., erw. u. vollst. überarb. Auflage, ISBN 978-3944110004
 



Artikel geschrieben von Andreas Jüttemann