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Weselsky-Interview in der Berliner Zeitung
geschrieben von Marienfelde 
"Mein Job macht mir Spaß" - so lautet die Überschrift des Interviews mit Claus Weselsky in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung vom 27. / 28.11 2021 (S. 23 /24). Ich fand es lesenswert. Einige Aussagen des Gdl-Vorsitzenden:

"Wenn Sie den Konflikt zwischen der Deutschen Bahn AG und der GDL analysieren, kommen Sie entweder zur Erkenntnis, dass sich hier Beschäftigte im unteren Einkommenssegment zu Recht gegen die Handhabung des Managements wehren. Oder Sie müssen ausweichen und moralische Fragen aufwerfen: „Wie kann man ausgerechnet während der Corona-Pandemie streiken?“ Vor fünf Jahren war kein Corona und der Streik galt als genauso verwerflich. Das hat etwas mit der generellen Stimmung zu tun: Kleine Gewerkschaften sollen vernichtet werden in ihrer Existenz."

"Dem Konzern geht es schlecht, weil dort Missmanagement herrscht. Cargo etwa macht seit Jahrzehnten faktisch Miese. 2020 waren es 780 Millionen Euro Verlust im Jahresabschluss. Das geht seit Jahren so, mit Summen zwischen 300 und 800 Millionen Euro. Das Management bringt solche Zahlen zustande, weil sie keine Ahnung haben, wie sie die Eisenbahn organisieren müssen. Die verkaufen einen Güterzug von Hamburg nach München, aber können ihn auf der Rückreise nicht füllen. Der Zug muss aber trotzdem zurück nach Hamburg, deshalb hätten sie ihn für doppelt so viel verkaufen müssen."

"Pofalla war der Letzte, der direkt aus dem Kanzleramt in den Vorstand der Bahn wechselte. In dem Moment, wo die da drüben angekommen sind in dem Turm (gemeint ist die DB-Konzernzentrale der Deutschen Bahn am Potsdamer Platz), wechseln die die Unterwäsche. Dann sind sie der Manager einer Aktiengesellschaft, der dem Gewinn verpflichtet ist und natürlich auch an die eigenen Einnahmen denkt. Und wenn die AG dann Verluste macht und man es nicht selbst schafft, die auszugleichen? Dann beginnt ein Politiker wie Pofalla eben damit, das zu machen, was er am besten kann: seinen politischen Einfluss zu nutzen, um Steuergelder in den Konzern zu holen. Da ist er Profi, das hat er hervorragend gemacht, nur wenn Sie eine externe Kontrollinstanz ansetzen, wird es schwierig: Wie werden die Steuergelder verwendet? Was wird in das Schienennetz investiert? Wie viel besser ist das Schienennetz in den vergangenen Jahren geworden?"

"Andreas Scheuer ist der Erste, der tatsächlich mehr Geld für das System organisiert hat. Wir als GDL sind aber skeptisch: Bitte nicht so viele Milliarden ziellos in dieses ineffiziente System pumpen. Ich habe Angst davor, dass wir 2030 aufwachen und feststellen, wir haben dort Hunderte Milliarden reingepulvert, aber an der Qualität des Netzes hat sich nichts geändert."

"Die Zusammenlegung der gesamten Bahn-Infrastruktur zu einer gemeinwohlorientierten GmbH haben wir schon lange gefordert. 60 Prozent der Verkehrsleistung im Regional- und Güterverkehr wickeln mittlerweile Konkurrenzunternehmen ab. Dort sind Betrieb und Netz getrennt und es funktioniert. Warum soll das bei der Deutschen Bahn anders sein? Das hat der Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn damals einfach behauptet, auf dem Weg zum Börsengang. Im Hintergrund hat Mehdorn aber oft gesagt, dass vor allem das Netz die Cashcow des Gesamtsystems ist."

"1994 wurde die Bahn privatisiert und gleichzeitig entschuldet. Wir hatten damals umgerechnet 37 Milliarden Euro Schulden, die wurden in den Schattenhaushalt des Bundes verlagert, damit wir schuldenfrei sind. Aktuell haben wir wieder 32 Milliarden Euro Schulden. Das Management geht so locker mit Schulden um, weil der Bund als Eigentümer eine starke Deckung hat. Die DB hat immer noch ein hohes Rating, obwohl wir einen riesigen Schuldenberg und der Cashflow und das Eigenkapital abgenommen haben. Jeder weiß: Die können ja gar nicht pleitegehen!"

Für den Turm sind es trotz der schlechten Zahlen goldene Zeiten. Sie verteidigen ihre Pfründe und sie verteidigen diesen Umverteilungsmechanismus. Wenn es eng wird, gehen sie zur Politik und sagen: „Wir brauchen mehr Geld.“ Das Management ist derzeit aber ganz still und schickt die EVG vor, weil man es sich mit der neuen Koalition nicht verscherzen will."

"Der Wettbewerb im Markt war am Anfang äußerst negativ – zu Ungunsten der Beschäftigten. Es war die EVG, die damals Transnet hieß, die die miesesten Tarifverträge abgeschlossen hat. Wir haben 2010 damit begonnen, den Wettbewerb über die Lohnkosten mit den neuen Verkehrsunternehmen wie der Ostdeutschen Eisenbahn zu beenden. Jetzt kommt die EVG und schürt Angst vor dem Wettbewerb, den wir aber schon längst unter Kontrolle haben. Die EVG hat bei den Deutsche-Bahn-Wettbewerbern übrigens fast keine Tarifverträge mehr."

"Die Deutsche Bahn rechnet dem Steuerzahler einen coronabedingten Verlust von fünf Milliarden Euro vor, das stimmt so einfach nicht. Gleichzeitig hat man uns dazu gedrängt, wie die EVG das „Bündnis für die Bahn“ mit zu unterschreiben mit Einsparungen bei Personalkosten in Höhe von zwei Milliarden Euro. Ich unterschreibe so was nicht. Wir waren geladen, wir wurden unter Druck gesetzt. Im Papier stand im Gegenzug unabdingbarer Kündigungsschutz für alle. Auch das unterschreibe ich nicht: Das Verhältnis zwischen Indianer und Häuptling ist bei der Bahn doch völlig aus dem Ruder geraten."

"Weder ein Fahrdienstleiter noch ein Werkstattleiter noch ein Mitarbeiter im Bahnbau noch ein Lokführer oder Zugbegleiter muss sich heute Sorgen um seinen Arbeitsplatz machen. Es gibt keinen Wettbewerb mehr über die Lohnkosten. Wir haben als Gewerkschaft dafür zehn Jahre gebraucht, in der Zeit haben wir vor allem bei den Bahnwettbewerbern die Lohnkosten nach oben gefahren. Es gilt das Grundprinzip gewerkschaftlicher Arbeit: Die Kuh, die du melken willst, darfst du nicht schlachten. Das heißt, wenn ich ein Unternehmen totmache, indem ich es überfordere anhand seiner gesamtwirtschaftlichen Leistung, dann ist das Unternehmen weg. Dann habe ich auf einmal Verlust an Arbeitsplätzen. Man kann aber im Eisenbahnverkehr sagen: Anhand der allgemeinen Entwicklung und der Klimadiskussion muss man sich um seinen Arbeitsplatz auch in Zukunft keine Gedanken machen."

Hier noch ein Link zur Online-Fassung des Interviews mit der Überschrift „Marode“ und „ineffizient“: Warum die Zerschlagung der Deutschen Bahn nötig ist":
[www.berliner-zeitung.de]



1 mal bearbeitet. Zuletzt am 29.11.2021 06:51 von Marienfelde.
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