Thorsten Bartel schrieb:
-------------------------------------------------------
> Deinen Schluß, wenn die BVG die Strecken nicht wirtschaftlich betreiben kann, müßten diese
> stillgelegt werden, kann ich nicht teilen. Vielmehr wäre es Aufgabe des Senates, einen
> anderen Betreiber zu suchen, der die Strecken wirtschaftlich betreiben kann, wenn die BVG meint,
> sie könne es nicht.
Du verstehst nicht. Es geht nicht um den Betrieb von Straßenbahnstrecken, sondern um die Erhaltung der dazu nötigen Infrastruktur. Die Aufwendungen für den Betrieb durch die BVG haben einen leicht über dem Bundesdurchschnitt liegenden Kostendeckungsgrad, den Rest müsste das Land Berlin als Besteller über die vereinbarte Umlage zahlen. Damit werden alle vom Land Berlin bestellten Linien bedient, unabhängig von ihrer Nutzung (volle oder leere Busse und Bahnen). Leider erreicht die Höhe dieser Ausgleichszahlungen schon lange nicht mehr die Höhe des wirklichen Aufwandes, so dass trotz Rationalisierung und Lohnverzicht der Beschäftigten der Fehlbetrag kontinuierlich wächst. Dazu kommen die steigenden Zinsbelastungen für die Schulden, die ja eigentlich Schulden des Senats sind (derzeit etwa 40 Mio € jährlich).
Ein zweiter, anderer Punkt ist die Erhaltung und Erneuerung der Infrastruktur. Für die Erhaltung zahlt der Seanat einen vereinbarten Betrag, den die BVG für die Instandhaltung von Fuhrpark und Strecken benötigt. Nun kann man Fahrzeuge und Anlagen nicht ewig nutzen. Für die Erneuerung der Strecken gibt es Förderprogramme, die bislang ohne große Probleme ausgeschöpft werden konnten. Beispielsweise wurden durch die BVG zwischen 1990 und 2005 423,9 Mio € für die Grundinstandsetzung von Straßenbahnstrecken ausgegeben. Wird das Programm nach den gleichen (hohen) Standards weitergeführt, werden für die Grundinstandsetzung der restlichen, meist schwächer belasteten Strecken 337,9 Mio € benötigt. Obwohl ein Großteil der Mittel vom Bund kommt (um die 20% Landesmittel sind dabei), meint der Berliner Senat, sich die knapp 68 Mio € zu sparen und die bislang nicht sanierten Abschnitte mittelfristig durch andere Verkehrsmittel (also Busse) bedienen zu lassen. Der vom Senat eingesetzte BVG-Vorstand soll das durchsetzen. Eine der wenigen Ausnahmen ist die "Grundinstandsetzung und verkehrliche Aufwertung der Straßenbahn Nord-Süd-Tangente" (M17).
Der dritte Punkt sind die Neubaustrecken, die nicht von der BVG, sondern immer noch von SenStadt geplant und (seltener) gebaut werden. Die Hinhalte-, Verögerungs- und Verhinderungtaktik, unterstützt von der Autolobby, ist hier offensichtlich.
> Solange man aber von der BVG den Eindruck bekommt, sie träumt mit Wonne von einer Stillegungsorgie -
> nun sollen ja bereist 10 Strecken stillgelegt werden - solange mag ich nicht so recht an
> wirtschaftliche bzw. alleinige wirtschaftliche Zwänge glauben.
Ich kenne keinen Mitarbeiter der Straßenbahn (derzeit sind es noch fast 1600), der mit Wonne von der Stilllegung der Straßenbahn träumt. Nach der Kürzung ihrer Löhne um über 10% in vergangenen Jahr ist das Vertrauen der BVGer in politische Entscheidungen aber endgültig dahin. Wenn der durch Rückgang von Einnahmen (nicht durch zu hohe Ausgaben) defizitären Berliner Haushalt durch Lohnsenkung der Mitarbeiter und über höhere Preise für den Bürger saniert werden soll, wird der Senat auf Widerstand stoßen.
> Man kann eine Straßenbahn auch ohne Probleme teuer rechnen - das habe ich in Hamburg, Bremerhaven und
> Kiel erlebt, wie man sich einer Straßenbahn entledigt!
Du scheinst ja öfter umgezogen zu sein. Ich habe in Berlin die beste Zeit der Straßenbahn in der Nachkriegszeit, gleichzeitig die letzten Jahre der SED-Regierung erlebt. In den Jahren 1975 bis 1991 entstanden dutzende km Neubaustrecken, Deutschlands größter Straßenbahn-Betriebshof, dutzende neue Gleichrichterwerke und hunderte km Fahrleitungen und Kabelanlagen. Mehrere eingleisige Strecken in Buchholz, Hohenschönhausen, Schöneweide und Köpenick wurden zweigleisig ausgebaut, viele km Gleise auf besonderen Bahnkörper neu trassiert. Gleichzeitig wurde der Wagenpark fast vollständig durch großräumige, schnelle Vierachser ersetzt. Da wurde nicht viel gerechnet, sondern investiert und schwere Fehler der 60er Jahre korrigiert.
Leider ist der Einfluss der Rechtsnachfolger der SED auf die Politik des heutigen Senats trotz Koalition eher gering, obwohl die PDS den Wirtschaftssenator stellt. Hier wäre mehr wirkliches Engagement für die Stärkung des ÖPNV sehr angebracht.
so long
Mario