Hallo,
geschrieben von: Ingolf
Datum: 30. April 2008 13:19
> Ob ein schlichtes Design unbedingt gleich zeitlos ist, dürfte durchaus in
> Frage zu stellen sein. ;-)
> Doch gerade bei derartigen Strunkturen, wie bei langlebigen Bauwerken mit
> großem Publikumsverkehr - wie es eben auch U-Bahnhöfe sind - liegt eine
> wirkliche Herausforderung für wirklich gute Architektur und Gestaltung. Denn
> diese darf sich nicht nur auf die reine (ingenieurtechnische) Funktionalität
> reduzieren. Denn dann wird das alles nur im Sinne der Betreibers technisch
> optimiert und die täglichen Nutzer müssen dann jahrzehntelang reinen
> Funktionalismus ohne jegliche räumliche und gestalterische Qualitäten
> ertragen Ein derartiger U-Bahnhof ist vielleicht pflegeleicht, aber für die
> Nutzer schnell unausstehlich.
Mit "schlicht und funktional" meinte ich auch keine völlig auf die Erfüllung der betrieblichen Belange reduzierten Bauten, die zur Zeit leider ziemlich im Trend liegen. Völlig nackte und unverkleidete graue Betonwände, wie sie heute bei vielen sanierten oder neugebauten Bahnhöfen und Haltepunkten der "großen Bahn", aber auch z.B. im jüngsten Bochumer Straßenbahntunnel zu finden sind, empfinde ich als unzumutbar für den Fahrgast - zumindest etwas Farbe sollte eigentlich drin sein. Meist dauert es dann ja auch nicht lange, bis freiwillige Künstlertrupps in unbezahlter Nachtarbeit die "Verschönerung" dieser Anlagen nach eigenen Vorstellungen übernehmen, der nackte graue Beton lädt eben einfach dazu ein. Hier bin ich der Meinung, daß noch viel häufiger versucht werden sollte, dem durch eine vom Betreiber initiierte Graffity-Gestaltung vorzubeugen. Ein gut gestaltetes Graffity-Bild wirkt allemal freundlicher als der nackte Beton und kann durchaus eine preiswerte Alternative zu aufwändigen Verkleidungen der Wände sein, außerdem fehlt dann die einfarbige Grundfläche für wilde Graffity.
Doch zurück zur U-Bahn: In meinem ersten Posting meinte ich mit "funktional" keine rein ingenieurstechnische Funktionalität, sondern eine, die eben auch und gerade die Bedürfnisse der Nutzer (z.B. Aufenthaltsqualität, Orientierung) berücksichtigt. Hier möchte ich noch einmal auf die m.E. sehr gut gelungene U5-Sanierung verweisen: Die Gestaltung der Bahnhöfe erfolgte in kräftigen, aber nicht grellen Farben. Durch die in unterschiedlichen Farbtönen abgesetzten Bereiche erfolgt eine Gliederung der großen Flächen an Wänden und Decken, wobei ohnehin vorhandene Elemente wie die Stützen dezent hervorgehoben und dadurch gezielt in die Gestaltung miteinbezogen werden. Die Wiederauferstehung der bereits von Grenander verwendeten Idee verschiedener Kennfarben für die einzelnen Bahnhöfe erleichtert dem Fahrgast die Orientierung, während die im Grundsatz einheitliche Gestaltung die Linie U5 kennzeichnet. Trotzdem hat jeder Bahnhof seine Besonderheiten, so daß letztlich keine Langeweile aufkommt. Auf all diesen neu gestalteten Bahnhöfen kann man sich m.E. wirklich wohlfühlen. Hinzu kommt noch der entscheidende Vorteil der Blechtafeln, daß sie leichter zu reinigen bzw. schlimmstenfalls zu ersetzen sind als Fliesen.
Wenn ich mich an die von Mario hier mal eingestellten Entwurfsbilder des U-Bf. Brandenburger Tor richtig erinnere, kommen zumindest dort (und hoffentlich auch auf den restlichen Bahnhöfen der U5-Verlängerung, so sie denn kommt) konsequenterweise die gleichen Gestaltungsansätze zur Anwendung. Nur das schwarz oder anthrazit gefällt mir nicht, hier wären wir wieder beim Problem düsterer Tunnelanlagen, die sich nicht gerade positiv auf die Aufenthaltsqualität auswirken.
> Im Gegenzug darf derartige Statsionsgestaltung auch nicht nur schnellen
> Zeitgeistmoden folgen,
Und genau dieses Problem sehe ich bei vielen Bahnhöfen der 70er- bis 90er-Jahre.
> sondern sie muss auch noch nach langer Zeit nicht nur gut funktionieren,
> sondern auch dem Nutzer einen als attraktiv wahrgenommenen Raum anbieten
> können.
Genau das hatte ich in meinem ersten Beitrag gemeint.
> Leider sind wir heute oft weit von derartiger Gestaltung entfernt. Hatte man
> in den 1980er Jahren sehr viel postmodernen Zeitgeist verbaut, so reduziert
> sich so manche aktuelle Gestaltung nur noch auf einfachste und billig zu
> erstellende Funktionalität.
Da sind wir uns dann wohl letztenendes doch einig.
:-)
geschrieben von: Prinz Eisenherz
Datum: 01. Mai 2008 01:24
> Natürlich sollte eine kritische Auseinandersetzung mit Rümmlers Architektur
> nicht persönlich verstanden werden, da hast Du völlig recht. Rümmler stand zu
> seinem Werk, wenn es kritisiert wurde. Er ging mit seiner Architektur jedoch
> nicht in der Öffentlichkeit hausieren, wie das heute so üblich ist.
... das ehrt ihn.
> Die Idee, die Gegend oben in die U-Bahnanlagen zu bringen, finde ich gut. Ob
> das immer gelungen ist, ist dann wieder eine andere Frage...
Der Ansatz mag tatsächlich nicht verkehrt sein, nur würde es mir besser gefallen, wenn diese Hinweise auf die Gegend über dem Bahnhof etwas dezenter ausfallen würden und in stärkerem Maße einer einheitlichen Grundgestaltung der Stationen einer Linie untergeordnet wären.
> Das die Architektur der Sachlichkeit den Leuten (so wie heute) immer gefallen
> hat, glaube ich nicht. Die Grenander-Bauten waren lange unbeachtet, durch
> Einbauten und Anstriche "versaut". Erst jetzt entdeckt man sie wieder.
Tja, fehlendes Traditionsbewußtsein und der etwas respektlose Umgang mit historischer Bausubstanz gehörten in den 60er- bis 80er-Jahren leider auch zum Trend der Zeit, im Westen ebenso wie im Osten. Manches Gebäude in deutschen Städten, das damals achtlos abgerissen wurde, um gesichtslosen Betonklötzen Platz zu machen, hätte man heute wohl lieber saniert und erhalten. Den alten Berliner U-Bahnhöfen erging es zum Teil nicht viel besser. Trotzdem blieb glücklicherweise viel vom Flair der 20er-/30er-Jahre erhalten. Zu den interessantesten und schönsten Berliner U-Bahnhöfen gehören heute m.E. die ehemaligen Geisterbahnhöfe Weinmeisterstraße und Rosenthaler Platz, die während ihres Dornröschenschlafs nicht wie die üblichen Bahnhöfe der D-Linie durch zeitgenössische Einbauten bereichert wurden und sich deshalb in der nahezu unveränderten Originalgestaltung präsentieren, sieht man einmal von den betrieblich und verkehrlich notwendigen Accessiores im Corporate Design der BVG (Entwerter, Automaten etc.) ab.
> Die U9 zwischen Spichernstr. und Leopoldplatz ist auch äußerst "sachlich"
> entworfen worden, aber mit Stilelementen der fünfziger Jahre. [...] Das hat
> auch was, denke ich jedesmal, wenn ich mir die Stationen beim Warten angucke.
Dazu kann ich mir leider im Moment kein Urteil erlauben, weil ich seit Jahren nicht mehr mit der U9 gefahren bin. Ich werde aber versuchen, mir das demnächst mal anzusehen.
> Insgesamt ist es ganz gut, das sich verschiedene Epochen und Stile in der
> U-Bahn-Architektur wiederfinden. Nur Einheitsbrei wäre ja zu langweilig.
Das stimmt. Die Mischung macht's auf jeden Fall interessanter. Gäbe es die qietschbunten Bahnhöfe der 70er- bis 90er-Jahre nicht, wüßten wir vielleicht gar nicht, was wir an den Grenanderbauten oder eben der sanierten U5 haben.
Grüße vom ex-Dresdner