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Sammelthread: Verkehrspolitik in Berlin
geschrieben von Arnd Hellinger 
Zitat
def
Ich frage mich ja gerade, wo vor ein paar Wochen plötzlich dieser S(8)6-Hype herkam - und wieso irgendwer in den Medien davon ausging, das sei überhaupt eine kurz- oder mittelfristige Maßnahme. Im seit anderthalb Jahren beschlossenen Berliner Nahverkehrsplan 2019-23 ist die S(8)6 als "bis 2030" eingetragen, ebenso die Verlängerung der S2-Züge. Es war also offensichtlich nie anders geplant. Sieht eher nach einer typischen um sich selbst kreisenden Beschäftigungstherapie von Medienschaffenden aus: sie schnappen irgendwas auf (oder geben Aussagen aus Politik und Verwaltung unhinterfragt wieder), berichten begeistert, aber frei von Recherche - und können dann ein paar Wochen später die Informationen, die ihnen beim ursprünglichen Artikel schon zur Verfügung gestanden hätten, als weitere Neuigkeit verkaufen und einen weiteren Artikel schreiben.

(@André: Nur, falls es nicht eindeutig ist - meine Kritik gilt nicht Dir, sondern der Lokalberichterstattung zu diesem Thema.)

Danke Dir für Deine Recherche und Aufklärung! (Und ich hätte die Kritik ohnehin nicht falsch verstanden ;-)

Viele Grüße
André
Zitat
Global Fisch
Ich bin ein Stück weit bei eiterfugel: das von Dir genannte Problem wird ja dadurch noch verschärft, wenn auf beiden Seiten ein vielbefahrener Radweg dazu kommt. Nur dennoch: Radwege sind genausowenig Aufenthaltsort für Fußgänger wie Autofahrbahnen und beim Kreuzen des einen müssen Fußgänger genausoviel Vorsicht walten lassen wie beim Kreuzen des anderen.
Insofern ist es auch völlig richtig, an größeren Knoten mit LSA oder Zebrastreifen etc. auch die Radverkehrsanlagen damit auszustatten, damit Fußgänger diese sicher queren können.

Die oft zu beobachtende Lösung einer LSA-gesichterten Fußgängerquerung der Kfz-Fahrbahnen mit anschließendem, nicht querungsgesicherten Radweg nach einer kleinen Fußgängerinsel stellt eine krasse Benachteiligung von Fußgängern dar. Im ungünstigsten Fall müssen Fußgänger dann bis zu viermal warten, um eine Straße zu überqueren.
Und es ist ein Sicherheitsrisiko, da es weltfremd anzunehmen ist, dass Fußgänger vor dem Radweg warten werden und womöglich das knappe Fußgängergrün an der nachfolgenden Straße zu verpassen und weitere 90 Sekunden warten. Und das womöglich gleich zweimal.

Zitat
Global Fisch
PS: Ingolfs Problem hatte ich so verstanden, dass sich das an einer Stelle *ohne* Ampeln abspielte.
So war es.

Ingolf
Zitat
Global Fisch
Dazu sagen irgendwelche bunten Kopenhagen-Bildchen von einer Brücke mit einer Autospur, ohne Busspur, ohne Anlieger, die zudem in der Folge zu einer ÖPNV/Rad-Trasse ohne MIV wird, herzlich wenig aus.

Ach, gerade das Beispiel aus Kopenhagen könnte gerade den einen oder anderen Denkansatz für Dein Beispiel der Potsdamer Straße / Hauptstraße liefern.
Die sich an die Brücke anschließende Norrebrogade war vor einigen Jahren eine stark befahrene, vom Auto beherrschte Korridorstraße mit dichter, stark genutzter gründerzeitlicher Bebauung auf beiden Seiten. Also gar nicht so viel anders, als die Potsdamer Straße südlich der Potsdamer Brücke.
Und das interessante an diesem Kopenhagener Beispiel ist, dass man dort den Mut gefunden hat, den Kfz-Duchrgangsverkehr herauszunehmen und den Straßenraum neu aufzuteilen. Mit dem Erfolg, dass die Straße heute deutlich mehr Durchlassfähigkeit aufweist, als vorher (nur eben nicht für Autos) und zudem stark aus Aufenthaltsqualität gewonnen hat.
Und ja, die Norrebrogade ist nicht perfekt - die Busnachfrage ist dort so stark, dass eine Straßenbahn hier längst überfällig wäre. Und die Fußwege sind stellenweise recht schmal. Aber es ist eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Zustand vorher - und ausreichend gut, dass die Straße seither bezüglich ihrer Nutzungen und Funktion als öffentlicher Raum massiv gewonnen hat.
Warum soll man so einen Ansatz nicht auch für die Potsdamer Straße denken? Oder für die Kantstraße in Charlottenburg-Wilmersdorf. Nicht ganz grundlos wird die Norrebrogade in Kopenhagen hier als Beispiel angeführt...
[changing-cities.org]

Zitat
Global Fisch
Auch das mit den zwei unterschiedlichen Zielgruppen greift mir zu kurz ;-). Natürlich gibt es die Hardcore-Radler einerseits und die reinen Genussradler andererseits, aber dazwischen gibt es viele andere mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Der großen Mehrheit kann man weder mit einer Lösung für Hardcore-Radler noch einer Lösung für Genussradler kommen.
Interessanterweise schaffen dies aber die Niederländer oder Dänen. Und nein, sie haben dort kein besonderes Radfahrergen oder ticken auch sonst nicht gänzlich anders als hierzulande...

Zitat
Global Fisch
Das erstmal unbestritten. Nur: mir ging es konkret um klassische Berliner innerstädtischen Hauptstraßen, die keine Magistralen sind, mit Busspur, Häuser und Läden. Wie gesagt, ich dachte als Beispiel an die Achse Potsdamer Str/Hauptstraße. Wie soll da konkret die Separation aussehen, insbesondere an den Kreuzungen?
Ich werde Dir hier jetzt keine konkreten Führungsvarianten für bestimmte Straßen oder Knoten liefern.
Aber demnächst werden einige Berichte zur Planung der Radschnellerbindungen in Berlin auf den Seiten von Infravelo veröffentlicht werden. Da werden etliche Lösungen zu sehen sein.

Ingolf



1 mal bearbeitet. Zuletzt am 17.07.2020 14:52 von Ingolf.
Zitat
PassusDuriusculus
Wo ist denn die Leipziger Straße lebensgefährlich?

Warum sollte die Leipziger Straße lebensgefährlich sein?
Zitat
Henning
Zitat
PassusDuriusculus
Wo ist denn die Leipziger Straße lebensgefährlich?

Warum sollte die Leipziger Straße lebensgefährlich sein?

Ich finde nicht, dass die Leipziger Straße lebensgefährlich sein sollte. Das würde auch gar keinen Sinn ergeben.
Zitat
PassusDuriusculus
Wo ist denn die Leipziger Straße lebensgefährlich?

Wenn man so fährt, wie sich die Kfz-Fraktion das wünscht, dann überall, vor allem dort wo die Straße enger wird. Wenn man sicherheits- und selbstbewusst fährt und keine Überholung Kfz / Fahrrad innerhalb einer Spur möglich ist, geht es eher. Dann wird man aber umso mehr bedrängt. Dies gilt oft auch, wenn man in der freigegebenen Busspur mit ausreichendem Abstand von den Parkplätzen fährt und sich ein Busfahrer dadurch ausgebremst fühlt.
Das widerspricht meiner Erfahrung. Ich gehöre in die Selbstbewusst-auf-der-Spur-Radel-Fraktion und wurde noch nie von Ungeduldigen bedrängt. Auch nicht, wenn ich nach Armzeichen, Schulterblick wartende Rechtsabbieger überhole.
Zitat
Lopi2000
Wenn man so fährt, wie sich die Kfz-Fraktion das wünscht, dann überall, vor allem dort wo die Straße enger wird. Wenn man sicherheits- und selbstbewusst fährt und keine Überholung Kfz / Fahrrad innerhalb einer Spur möglich ist, geht es eher. Dann wird man aber umso mehr bedrängt. Dies gilt oft auch, wenn man in der freigegebenen Busspur mit ausreichendem Abstand von den Parkplätzen fährt und sich ein Busfahrer dadurch ausgebremst fühlt.

Und genau das ist ein Hauptgrund, warum die Führung des Radverehrs über Busspuren eine seltene Ausnahme sein sollte. Beispielsweise auf kurzen Engstellen oder bei nur wenig vom Busverkehr genutzten Busspuren.

Denn natürlich wird durch den Radverkehr der Busverkehr weiter ausgebremst. Er wird noch langsamer, als es es ohnehin schon ist.
Und es handelt sich hierbe auch nicht um einen einzelnen Busfahrer, der sich "ausgeberemst fühlt", sondern jeweils um dutzende Fahrgäste, die langsamer vorankommen. Das übersehen leider viele Radfahrer, die sich darüber freuen, dass der Bus oder die Straßenbahn mit Tempo 15 hinter ihnen herfahren muss.
Und nur wenige sind so sportlich, dass sie davonradeln oder so höflich, dass sie einen Bus auch mal vorbeilassen. Das Gefühl "Ich bin vor dem Bus, ich bin der Sieger" reiht sich in die hier schon zitierte Ich-zuerst-Mentalität ein. Und ja, es gibt auch genug Busfahrer, de einen grundsätzlichen Hass gegen Radverkehr haben - was ebenso nicht in Ordnung ist.

Daher brauchen wir hier dringend andere Lösungen, wollen wir hier nicht ÖPNV und Radverkehr weiter gegeneinander ausspielen. Uns wenn wir dieses Thema erntshaft anpacken wollen, wird dies in den meisten Fällen zu Lasten des MIV gehen müssen.

Ingolf
Zitat
Global Fisch
Darauf können wir uns einigen, nur wenn man Deinem letzten Satz folgt, so finde ich Dein Beispiel eben *nicht* geeignet.

Zitat

Ich hatte hier ja schon öfter das Beispiel Potsdamer Platz - Spittelmarkt angebracht, wo man AKTUELL die Wahl zwischen der lebensgefährlichen Leipziger Str. und einer Stop&Go-Fahrt mit Schleichverkehr, nachteiligen Ampelschaltungen und Stopschildwald über Niederkirchner- und Zimmerstr. (wo man am Ende doch auf der Axel-Springer-Str. landet) bzw. Voßstr. - Mohrenstr. - Niederwallstr. hat. Wenn man diese Straßenzüge mit derselben Qualität wie die Leipziger Str. asphaltieren würde, mit denselben Ampelschaltungen und Vorfahrtsrechten ausstattete und mit versenkbaren Pollern, die von Einsatzfahrzeugen per Funk binnen Sekunden aus dem Weg geräumt werden könnten, verhinderte, dass sich der motorisierte Durchgangsverkehr dort herumtreibt, dann wäre die fehlende Spur auf der Leipziger Str. überhaupt kein Problem mehr.

Das hatte wir schon mal diskutiert, aber ich bleibe dabei: Deine Alternative taugt vielleicht für den Verkehr Richtung Alex und weiter westlich. Sie taugt aber nicht für den Verkehr in den Gebiete östlich vom Alex. Ist a) ein Umweg (und nein: Umweglösungen sind *keine* gleichwertigen zu einer geradlinigen MIV-Trasse!) und b) muss der Verkehr in West-Ost-Richtung in Deinem Ansatz die MIV-Achse zweimal kreuzen. Für mich ein völliges No-Go. Wenn ich manchmal Umwege mache (etwa Hans-Baluschek- und Gleisdreieckpark statt Hauptstraße), dann eben *weil* ich dann weniger Hauptstraßenkreuzungen habe.

Und selbst, wenn es Einzelfälle gibt, wo es gleichwertige Nebenstraßenrouten neben Hauptstraßen gibt: "vernünftige Alternativverbindung in Häuserblockweite" sind Ausnahmen, vielelicht auf kurzen Strecken funktionierend, aber so gut wie nie auf längeren. Durchgehende Nebenstraßenführungen sind selten. Und wir kommen trotz solcher Einzelfälle nicht um die Fragestellung rum:

Wie konkret soll die Separation an innerstädtischen Berliner Hauptstraßen aussehen?

Du guckst nach wie vor zu sehr aus deiner Perspektive. Weder du noch ich gehören zu den Radfahrern, die einen abgetrennten Radweg auf der Leipziger Straße brauchen. Wenn ich es mal sehr eilig habe, fahre ich auch unter den jetzigen Bedingungen auf der Hauptstraße und würde es erst recht tun, wenn es dort eine einfache Radspur gäbe. Und ich behaupte, die Schnittmenge zwischen Radfahrern, die dort gar nicht ohne abgetrennte Radspur fahren und denen, die eine Fahrzeitverlängerung von einer (über Mohrenstr. bei 12 km/h) oder zwei (über Zimmerstr.) Minuten trotz ruhigen, fast autofreien Wegen inakzeptabel finden, ist verschwindend klein. Nur sind es MOMENTAN keine 1-2 Minuten mehr, sondern 8-10, weil man auf der Alternativroute an jeder Ecke von rechts vor links, Stopschildern und ungünstigen Ampelschaltungen ausgebremst wird, und man fährt auch nicht ruhiger, weil man ständig von Lieferanten, Taxis und anderen Schleichwegfahrern bedrängt wird. Und selbst wenn man nur eine der beiden Routen radfahrgerecht ertüchtigt, und demnach wirklich in einer der beiden Richtungen einmal die Leipziger Straße kreuzen muss (am Spittelmarkt kreuzt man am Spreeufer auto- und ampelfrei!), wird es an der Entscheidung, welche Route man wählt, nicht viel ändern. Zuerst muss aber mal wenigstens die eine Route existieren...
Zitat
Ingolf
Denn natürlich wird durch den Radverkehr der Busverkehr weiter ausgebremst. Er wird noch langsamer, als es es ohnehin schon ist.
Und es handelt sich hierbe auch nicht um einen einzelnen Busfahrer, der sich "ausgeberemst fühlt", sondern jeweils um dutzende Fahrgäste, die langsamer vorankommen. Das übersehen leider viele Radfahrer, die sich darüber freuen, dass der Bus oder die Straßenbahn mit Tempo 15 hinter ihnen herfahren muss.
Und nur wenige sind so sportlich, dass sie davonradeln oder so höflich, dass sie einen Bus auch mal vorbeilassen. Das Gefühl "Ich bin vor dem Bus, ich bin der Sieger" reiht sich in die hier schon zitierte Ich-zuerst-Mentalität ein. Und ja, es gibt auch genug Busfahrer, de einen grundsätzlichen Hass gegen Radverkehr haben - was ebenso nicht in Ordnung ist.

Daher brauchen wir hier dringend andere Lösungen, wollen wir hier nicht ÖPNV und Radverkehr weiter gegeneinander ausspielen. Uns wenn wir dieses Thema erntshaft anpacken wollen, wird dies in den meisten Fällen zu Lasten des MIV gehen müssen.

Ingolf
Der Knackpunkt ist hier, dass Radfahrer und Busse oft eine ähnliche Durchschnittsgeschwindigkeit haben und sich daher bei einer längeren Fahrt mehrfach begegnen. Ich versuche das Problem, wenn ich die nötige Zeit habe, dadurch zu entschärfen, dass ich den Bus nicht an der Haltestelle überhole. Das hat aber Grenzen, weil der Bus am Adenauerplatz auch mal 3 Minuten stehen kann, und selbst wenn ich die Zeit investieren würde, parkt dann hinter mir der Fahrer vom 19er den Ellenbogen auf der Hupe, während ich auf die Abfahrt vom 29er warte. Längere Busspuren ohne Überholmöglichkeit sind Mist. Da bräuchte es Ausweichen mit längeren Halteverbotsstrecken auf der rechten Spur, wo heutzutage geparkt wird.
Zitat
andre_de
Zitat
Henning
Zitat
PassusDuriusculus
Wo ist denn die Leipziger Straße lebensgefährlich?

Warum sollte die Leipziger Straße lebensgefährlich sein?

Ich finde nicht, dass die Leipziger Straße lebensgefährlich sein sollte. Das würde auch gar keinen Sinn ergeben.

Du hast völlig Recht. Ich sehe das genauso.
Zitat
Ingolf
Denn natürlich wird durch den Radverkehr der Busverkehr weiter ausgebremst. Er wird noch langsamer, als es es ohnehin schon ist.
Und es handelt sich hierbe auch nicht um einen einzelnen Busfahrer, der sich "ausgeberemst fühlt", sondern jeweils um dutzende Fahrgäste, die langsamer vorankommen. Das übersehen leider viele Radfahrer, die sich darüber freuen, dass der Bus oder die Straßenbahn mit Tempo 15 hinter ihnen herfahren muss.

Es hat weniger mit Freude am Ausbremsen als mit dem Wunsch möglichst sicher dort fahren zu können zu tun. Wenn ich (dort oder anderswo) am rechten Rand der Spur halte, werde ich regelmäßig von Bussen so überholt, dass schon auf Fahrerhöhe die erforderlichen 1,5m Abstand nicht eingehalten werden, am hinteren Ende eines Gelenkbusses sind es dann auch mal nur 30-50 cm. Dies ist nicht nur unangenehm, sondern auch gefährlich und lässt sich leider nur vermeiden, wenn ich gleich so in der Spur bleibe, dass mich nur überholen kann, wer die Spur seinerseits verlässt. Da ich selbst auch häufig mit Bussen unterwegs bin, weiß ich auch, dass es als Fahrgast nervt, aber auf dem Rad ist nun mal die eigene Sicherheit das wichtigste.

Ich habe mir diese Verkehrsführung auch nicht ausgedacht und stimme mit dir überein, dass man sie möglichst vermeiden sollte. in den meisten Fällen könnte man sie auch vermeiden, aber 20-30 Parkplätzen am Straßenrand wird leider in der Regel eine höhere Priorität eingeräumt als ein paar hundert Radfahrenden oder ÖPNV-Fahrgästen.
Zitat
Lopi2000
... in den meisten Fällen könnte man sie auch vermeiden, aber 20-30 Parkplätzen am Straßenrand wird leider in der Regel eine höhere Priorität eingeräumt als ein paar hundert Radfahrenden oder ÖPNV-Fahrgästen.

Über die holprigen Parktaschen am Straßenrand zu fahren und dabei Straßenbäumen, Laternen, Oberleitungsmasten und weiteren Stadtmöbeln auszuweichen, ist aber auch doof.

Leider werden nun an vielen Orten Fahrradfahrer und Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel gegeneinander ausgespielt. Siehe angehängtes Beispielbild unten, eine Mitnutzung der Fahrradspur durch die Linienbusse der BVG würde die Fahrzeiten verringern und den ÖPNV wirksam beschleunigen, ohne Fahrradfahrer zu behindern. Stattdessen darf sich der schmucke ExpressBus ganz hinten anstellen.

Autofahrer haben in Berlin schon länger keine Lobby mehr und sich mit dem Anstellen an vielen Punkten abgefunden. Heimlich hoffen zahlungskräftige Innenstadtbewohner mit dicken Wagen in den Tiefgaragen schon auf die kommende Mautpflicht, die das Autofahren wie vor 100 Jahren nur Besserverdienenden oder Nutzern von Dienstwagen reicher Unternehmen ermöglicht.

so long

Mario


Zitat
der weiße bim
Über die holprigen Parktaschen am Straßenrand zu fahren und dabei Straßenbäumen, Laternen, Oberleitungsmasten und weiteren Stadtmöbeln auszuweichen, ist aber auch doof.

Da wäre natürlich ein Umbau angesagt, der diese Flächen befahrbar macht. Bis dahin geht es wohl nur mit irgendeiner Form von gemeinsam genutzten Spuren.

Zitat
der weiße bim
Leider werden nun an vielen Orten Fahrradfahrer und Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel gegeneinander ausgespielt. Siehe angehängtes Beispielbild unten, eine Mitnutzung der Fahrradspur durch die Linienbusse der BVG würde die Fahrzeiten verringern und den ÖPNV wirksam beschleunigen, ohne Fahrradfahrer zu behindern. Stattdessen darf sich der schmucke ExpressBus ganz hinten anstellen.

Ja, ansonsten wären wir wieder bei der oben geschilderten Situation, dass sich Busse und Fahrräder eine Spur teilen müssen, was ja auch nicht gut ist. Und auch hier gilt wieder: 20.000 PKW, etliche tausend ÖPNV-Fahrgäste und Radfahrende, aber der Platz wird von 20-30 Dauerparkern in Anspruch genommen, die genausogut in einem der umliegenden Parkhäuser untergebracht werden könnten. Vermutlich sogar im Rahmen der heutigen Kapazität, aber ggf. halt mit einer Aufstockung. Oder sie könnten die umfassende ÖPNV-Anbindung nutzen.

Zitat
der weiße bim
Autofahrer haben in Berlin schon länger keine Lobby mehr und sich mit dem Anstellen an vielen Punkten abgefunden.

Die Stadt stellt immer noch zig tausende PKW-Stellplätze kostenlos oder zu symbolischen Preisen zur Verfügung. Dies entspricht - gemessen an Marktpreisen für Dauerstellplätze - einer Subvention von mind. 100 Euro / Monat und Stellplatz - natürlich abzüglich der Kosten für den Parkausweis von rund 10 Euro pro Jahr. Allein für die 14.000 Stellplätze in den Parkzonen 41-43 im Prenzlauer Berg entspricht dies einer Subvention von 17 Mio. Euro jährlich - pro Kopf in diesen Gebieten wird das Parken mit knapp 250 Euro jährlich subventioniert. Hochgerechnet auf ganz Berlin dürfte man fast in den Milliardenbereich pro Jahr kommen.

Die 3 km Neubaustrecke der A100 kosten 500 Mio. Euro, also knapp 150 Euro/Kopf. Der Etat für Investitionen in die Fahrradinfrastruktur liegt dagegen bei nicht mal 5 Euro/Kopf - für ganz Berlin.
"Das Auto muss aus der Stadt hinaus, keine Frage" - so die prägnante Aussage in der Überschrift auf Seite 10 der heutigen "Berliner Zeitung", auf der ein von Peter Neumann mit Hermann Knoflacher (der sich seit den 1970er Jahren mit der Frage nach einer "sanfteren Mobilität" beschäftigt) geführtes Gespräch abgedruckt ist.


Ein an die Schlagzeile anknüpfendes Zitat: "Das Auto muss aus der Stadt hinaus, gar keine Frage. Wenn wir dort Verkehrsmittel mit hoher Geschwindigkeit hineinlassen, dann hinterlässt das Wunden. Durch mehr Geschwindigkeit im System spart man keine Zeit, sondern verändert die Strukturen, indem einst kurze Wege länger werden.

So zerstört das Auto das Umland und das Innenleben unserer Städte. Oft dient es auch als Kompensationsmittel für mangelnde geistige Mobilität. Die traditionelle Verkehrsplanung ist eine Disziplin, in der weitgehend ohne wissenschaftliche Grundlagen gearbeitet wurde und immer noch wird. Ganze Bereiche der Mobilität wie der Fuß- und Radverkehr kamen nicht vor, und in den Städten wurde vieles, was dem Auto im Weg stand, weggeräumt – zum Beispiel Straßenbahnen. In West-Berlin wurde 1967 die letzte Strecke stillgelegt."


Zum Stellenwert des Autos bei einem Teil unserer Zeitgenossen meint Hermann Knoflacher:

"Das Auto verändert die Persönlichkeit grundlegend. Es liegt tiefer im Hirn des Menschen verankert als Beziehungen zu anderen Menschen. Wenn den Menschen Beziehungen wichtiger wären als ihre Fahrzeuge, würden sie nicht dulden, dass ihre Liebsten Tag für Tag durch den Kraftfahrzeugverkehr gefährdet werden. In Deutschland, Österreich und der Schweiz geben die Haushalte im Schnitt mehr für ihre Autos aus als für ihre Kinder."


Zum Bau der A 100 bis Treptower Park hat der emeritierte Professor der TU Wien eine Meinung:

"Dass im heutigen Berlin noch eine Autobahn gebaut wird, ist Irrsinn. Ein Verbrechen gegen die Zukunft. Die Verlängerung der A100 wird eine Belastung für die Zukunft sein. Der Senat hätte dieses Projekt längst stoppen müssen. Es ist absurd, dass die Politiker nicht in der Lage sind, den Lebensraum Stadt gegen solche Projekte zu verteidigen."


Höhere Geschwindigkeiten führen zu mehr Unfällen mit Personenschaden: "Bei einer meiner Studien ging es um die Frage, warum die Zahl der Verletzten in Wien Ende der 1970er-Jahre nach einem positiven Trend wieder zugenommen hat. Es konnte nachgewiesen werden, dass dies mit der Eröffnung von zwei Autobahnabschnitten am Stadtrand zusammenhing. Ein Teil des Autoverkehrs verlagerte sich aus der Stadt, was in Stadtstraßen das Tempo erhöhte – und damit auch die Zahl der Unfälle."


Jede Stadt muß eigene Wege finden: "Kopieren heißt nicht kapieren. In Wien passt das 365-Euro-Jahresticket in das Gesamtsystem. Als es eingeführt wurde, gab es in den meisten Bezirken schon eine Parkraumbewirtschaftung.

In Berlin sollte das Geld, das für Autobahn- und Straßenprojekte eingeplant worden ist, zur Ertüchtigung des öffentlichen Verkehrs eingesetzt werden. Dann wird man das Fahrgastaufkommen bewältigen. Außerdem ist Berlin viel fahrradtauglicher als Wien mit den vielen engen Straßen."


Eine City-Maut hält der Verkehrsplaner aus Wien für Kappes:

"Die City-Maut wurde entweder für den weiteren Ausbau von Straßen wie in Skandinavien eingeführt oder in relativ kleinen Bereichen von Großstädten wie London – dort mit viel PR und wenig Systemkenntnis.

Eine solche Gebühr hat eine negative soziale Komponente und setzt zudem erst an, wenn der Mensch schon im Auto sitzt. Sie ist gut, um ideologisch Autofahrer abzuzocken und wenig wirksam, wenn die Kosten zum Beispiel über Betriebsausgaben kompensiert werden können.

City-Maut ist eine Maßnahme mit wenig Wirkung und viel Aufwand. Die Elektronik-Konzerne freuen sich darüber, künftigen Sondermüll auf Kosten öffentlicher Mittel verkaufen zu können."


Das mitunter sehr aufgeladene Thema "Straßenbahn oder U-Bahn" betrachtet Knoflacher auch im Zusammenhang mit dem Klimawandel:

"Wir müssen zwei Dinge sehen: Zum einen stehen hinter manchen Forderungen Lobbys, die ihre Interessen durchsetzen wollen. Der U-Bahn-Bau ist für die Baukonzerne lukrativer als der Straßenbahnbau. Zum anderen hängt es vom verfügbaren Geld und der verfügbaren Zeit ab, was wann gebaut werden sollte.

Derzeit ist angesichts der zunehmenden Erderwärmung die Zeit der wesentliche Faktor. Das heißt: Maßnahmen für die Mobilitätswende müssen schnell gehen. Hier hat die Straßenbahn Vorteile gegenüber der U-Bahn. Nicht nur, dass die Baukosten deutlich niedriger sind, Straßenbahnen lassen sich auch zügiger bauen. Und was wesentlich ist: Man sieht sie in der Stadt."


Verkehrsflächen müssen umverteilt werden:

"Politiker und Verwaltung müssen den Mut aufbringen, dem Autoverkehr Fahrstreifen und Stellplätze wegzunehmen. Bei einer wirksamen und damit verantwortbaren Verkehrspolitik führt kein Weg daran vorbei.

In unserem bisherigen System hat das Auto bislang inakzeptabel viel Raum. Wenn ich eine rationale Verkehrspolitik will, muss ich rational entscheiden – und in dieses System hineinschneiden. Davon muss auch der Fahrradverkehr profitieren."


Hermann Knoflacher ist Optimist geblieben: "Wenn ich mich umschaue, auch im Ausland, sage ich: Da ist viel gelungen. Anfangs gibt es meist erbitterten Streit, wenn Platz auf den Straßen neu verteilt werden soll. Sind die Projekte schließlich gut umgesetzt, hört man kaum noch Kritik. Dann sind fast alle zufrieden, und positive Wirkungen zeigen sich."


Hier noch der Link zur Online-Fassung des Gesprächs: [www.berliner-zeitung.de]


Allseits einen schönen Mittwoch wünscht Euch
Marienfelde
Vielen Dank für die Zusammenfassung! Legendär auch Knoflachers Gehzeug, mit dem er seit über vier Jahrzehnten die Idiotie privaten Pkw-Verkehrs gerade in Großstädten sehr bildlich verdeutlicht.

Das Wiener Stadtmagazin "Falter" führte vor wenigen Wochen auch ein Interview mit ihm: [www.falter.at] (aktuell sogar ohne Paywall, was beim Falter nicht immer der Fall ist). Interessant dabei dieser Aspekt, der oft zu kurz kommt:

Zitat
Falter
Die Wirtschaft hat jahrzehntelang behauptet, wenn wir die Autos aus der Stadt hinauswerfen, sterben die Geschäfte, weil die Leute nicht mehr parken und einkaufen gehen.

Knoflacher: Das ist ein völliger Unsinn. Das Problem sind nicht die Autos, sondern die Shoppingcenter, die eine Folge des Autoverkehrs und der heutigen Parkplatzregelung sind. Ich bezeichne sie als die modernen Straßenräuber, die draußen an den Einfallstraßen auf jeden warten, der vorbeikommt. Wir werden heute freilich nicht mit Brachial­gewalt ausgeraubt, sondern mit Werbung in ihre Falle gelockt.

Genau das ist das Problem: wenn heute viele Menschen auf das Auto angewiesen sind, ist das eben Folge des Autos. Folge einer über Jahrzehnte am Automobil ausgerichteten Raumplanung, die so getan hat, als seien Erdöl und verbaubare Flächen unendlich verfügbar; Folge dessen, dass Leute nicht mehr in ihrer Kleinstadt einkaufen, ins Kino oder Wirtshaus gegangen sind - und es nun nicht mehr können, weil sie es nicht überlebt haben.

Ich habe dazu mal einen Vergleich gelesen, dass das Auto wie eine Droge ist (vielleicht war es sogar auch Knoflacher): erstmal glaubt man, es erleichtere einem das Leben, und dann wird man abhängig von ihm. Und genau das ist geschehen, in ländlichen Räumen noch stärker als in Großstädten.



2 mal bearbeitet. Zuletzt am 22.07.2020 10:32 von def.
Letzte Nacht sind, in Sichtweite von meiner Wohnung, zwei Autos in Flammen aufgegangen. So stelle ich mir das heraushalten von Autos aus der Stadt allerdings nicht vor...
Zitat
J. aus Hakenfelde
Letzte Nacht sind, in Sichtweite von meiner Wohnung, zwei Autos in Flammen aufgegangen. So stelle ich mir das heraushalten von Autos aus der Stadt allerdings nicht vor...

Das hat mit Verkehrspolitik genau was zu tun?
Zitat
VvJ-Ente
Zitat
J. aus Hakenfelde
Letzte Nacht sind, in Sichtweite von meiner Wohnung, zwei Autos in Flammen aufgegangen. So stelle ich mir das heraushalten von Autos aus der Stadt allerdings nicht vor...

Das hat mit Verkehrspolitik genau was zu tun?

Brennende Autos haben meist eine politische Ursache :D
Wobei es mir schwer fällt, trotz der völlig verhärteten Fronten in Berlin, dass hier Fahrzeuge aus umwelt- oder verkehrspolitischen Motiven in Flammen auf gehen.

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