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Schwarzfahrer sollen nicht mehr ins Gefängnis
geschrieben von Marienfelde 
Kann man sich auch eine neue Monatskarte kaufen und bekommt jene unbürokratisch erstattet?
Wird bestimmt nicht vorgesehen sein. Einfacher wär's für dich als Kunde natürlich. Und die BVG könnte dir, sobald dein eingezogenes E-Ticket geprüft wurde diese Monatskarte abnehmen und dir den kompletten Betrag erstatten und dich mit deinem nun wieder als gültig erkennbaren elektronischen Fahrschein nach Hause schicken. Das hielte ich für angemessen, damit du dir als Kunde zwischenzeitlich den zusätzlichen Aufwand des Kaufs von Einzeltickets sparen kannst. Hast ja schon so genug Gerenne und das weil die BVG unbedingt auf Tickets setzen möchte, die aufgrund ihrer Technik Fehler aufweisen können.

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Logital
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Arec
Noch toller als Türsteher mit Fahrrad sind übrigens im Türbereich abgestellte Räder ohne Türsteher. Am Besten so angelehnt, dass sie bei Seitenbahnsteigen (derzeit z.B. Ostkreuz und Ostbf stadtwärts) beim Öffnen der Tür heraus- oder umfallen.

Leider wurde ich noch nie Zeuge eines solchen Schauspiels. So oft scheint das also nun auch nicht vorzukommen.

Doch, doch. In der wärmeren Jahreszeit erlebe ich es auf Fahrten ab Spindlersfeld, recht häufig bei Radwandernden mit touristischem Hintergrund. Nachdem die Räder in Spindlersfeld gegen die nicht benutzten Türen gelehnt wurden und in Oberspree auf den Bahnsteig gestürzt sind, werden sie wieder gegen die nunmehr nicht benutzen Türen gelehnt, um in Schöneweide erneut herauszufallen. Meist wiederholt sich das Ganze dann in Köllnische Heide noch einmal nachdem man sich in Baumschulenweg vergewisserte. Funktioniert auch gut zwischen Strausberg und Hoppegarten.
Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes Jens Gnisa hat sich dafür ausgesprochen, "das sogenannte Schwarzfahren als Tatbestand im Strafgesetzbuch zu überprüfen".

Allein die Berliner Justiz sei jährlich mit 40.000 Schwarzfahrten befasst, während sie unter Personalknappheit leide.

Hier noch ein Link zu "Zeit Online": [www.zeit.de]

Einen schönen Abend wünscht Euch
Marienfelde
Haft für Bagatelldelikte wie Schwarzfahren - das gibt es häufiger, als man denkt. Denn wer eine Geldstrafe nicht bezahlen kann, muss oft eine "Ersatzfreiheitsstrafe" absitzen. Das kostet den Staat laut Monitor-Recherchen mehr als 200 Millionen Euro pro Jahr:
[www.tagesschau.de]

Berlins Straßen sind zu eng, um sie nur dem MIV zu opfern!
Zitat
Lehrter Bahnhof
weil ich sonst eine Prüfung nicht hätte schreiben können.

Besitzt du keinen Personalausweis oder Reisepass?
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dubito ergo sum
Das kostet den Staat laut Monitor-Recherchen mehr als 200 Millionen Euro pro Jahr...

Und somit ungefähr doppelt so viel, wie die Einnahmeausfälle durch Schwarzfahrer in der Summe von 14 der größten deutschen Städte mit etwa der Hälfte der deutschen Großstadtbewohner: [de.statista.com]

Überschlägig ist es also insoweit ein Nullsummenspiel zwischen vermeidbaren Einnahmeverlusten und Vollstreckungskosten. Nicht berücksichtigt sind dabei vermutlich zum einen Folgekosten wie eine potenzielle zusätzliche Kriminalisierung im Strafvollzug und zum anderen der Umstand, dass es ja trotz der eingesetzten Mittel zur Strafverfolgung und -vollstreckung nicht gelingt, das Schwarzfahren nennenswert einzudämmen.

Ebenso unberücksichtigt bleibt der Aspekt, dass auch die Zahl der Personen in Strafverfolgung und -vollstreckung endlich ist und durch die derzeitige Prioritätensetzung etliche andere Delikte unverfolgt bleiben oder verjähren und unvollstreckt bleiben.
Ich stelle den Link unkommentiert rein, weil ich selber nicht sicher bin, wie damit umzugehen. Aber ich habe das Gefühl, dass der Artikel für die Debatte um Kriminalisirung/Dekriminalisierung von Schwarzfahrern wichtig ist.

Der Tagesspiegel: Schwarzfahrer begeht Suizid im Krankenhaus der JVA Plötzensee
Die Debatte bewegt sich weiter, auffällig ist, dass die Richtung durch alle politische Farben hindurch gleich ist. Selbst in der CDU gibt es Stimmen zum Entkriminalisieren des Schwarzfahrens.

Fahren ohne Fahrschein Linke fordert Entkriminalisierung von Schwarzfahrern – Quelle: [www.berliner-zeitung.de] ©2018

Derzeit sitzen in Berliner Gefängnissen knapp über 100 Menschen wegen Leistungserschleichung ein.

Immer wieder, auch in dem obigen Artikel, wird die Analogie zum Falschparken oder zum Parken ohne Parkschein gezogen. Parken ohne Parkschein verursacht zumindest einen Schaden in Höhe eines verlorenen Parkplatztes (denn wo einer ohne zu bezahlen parkt, kann sich kein zweiter hinstellen), beim Falschparken werden andere Verkehrsteilnehmer zumindest mittelbar behindert oder sogar gefährdet, weil sie zum Ausweiche gezwungen werden oder für andere Verkehrsteilnehmer schlechter sichtbar sind.
Schwarzfahrer verursachen aber Schäden nur in Höhe des Einnahmeausfalls des jeweiligen Verkehrsunternehmens, denn sie 'nehmen ja niemandem den Platz weg'.
Während auch wiederholtes Falschparken schwach oder gar nicht sanktioniert wird, landen (mittellose, dreimalige) Schwarzfahrer fast automatisch hinter Gittern. Dass hier eine schweres Misssverhältnis vorliegt, ist mehr als offensichtlich.

Das folgende Meinungsstück in derselben Gazette widmet sich demselben Problem von der anderen Seite und fordert höhere Strafen für Verkehrvergehen von Autofahrern, verweist gleichzeitig auf die drakonischen Strafen für Schwarzfahrer:

Kommentar Autofahrer werden bei Verkehrsdelikten zu milde bestraft – Quelle: [www.berliner-zeitung.de] ©2018
Zitat
schallundrausch
Die Debatte bewegt sich weiter, auffällig ist, dass die Richtung durch alle politische Farben hindurch gleich ist. Selbst in der CDU gibt es Stimmen zum Entkriminalisieren des Schwarzfahrens.

Ja, sehr gut. Auch andere Bagatelldelikte belasten Polizei, Justiz und den Vollzug. Beispielsweise wurden in Berlin im Jahr 2015 nach der Kriminalstatistik 37.716 Anzeigen wegen Ladendiebstahls aufgenommen. Wie bei der Leistungserschleichung gibt es dabei eine enorm hohe Dunkelziffer. Warum fordern gewählte Abgeordnete hier nicht auch die Abschaffung der Bestrafung?
Der Grund für die Begehung der Straftat ist doch der gleiche: der Täter hat kein Geld, will aber trotzdem die Ware haben.
Der vorsätzliche Schwarzfahrer hat ebenfalls kein Geld, nimmt aber dennoch eine Dienstleistung in Anspruch. Statt einfach kostenlos und gesetzestreu zu Fuß zu gehen.


Zitat
schallundrausch
Derzeit sitzen in Berliner Gefängnissen knapp über 100 Menschen wegen Leistungserschleichung ein.
Die müssen nur ins Gefängnis (dort meist in den offenen Vollzug), wenn sie zuerst das EBE und nach dem Urteil die Strafe nicht bezahlen, denn in der Regel werden diese Täter zu einer Geldstrafe verurteilt. Allein die S-Bahn Berlin GmbH zeigt jährlich über 35.000 Schwarzfahrer an, die BVG über 10.000 (trotz doppelt so vieler Fahrgäste). Nur zwei Promille der Angezeigten rückt demnach tatsächlich ein.
Also wiedermal eine Debatte, die von anderen Problemen ablenken soll.

Mit dem Fehlverhalten von Autofahrern lässt sich das nicht vergleichen. Alle hierzulande zugelassenen Kraftfahrzeuge tragen ein auffälliges amtliches Kennzeichen, das direkt zum Halter und zur Verfolgung von Verkehrsdelikten führt. Schwarzfahrer in Verkehrsmitteln (und Fußgänger/Fahrradfahrer im Straßenverkehr) haben jedoch kein Nummernschild um den Hals hängen.
Falls Beförderungserschleichung keinen Verdacht auf eine Straftat mehr begründet, darf niemand mehr deswegen festgehalten werden. Die Polizei wird nicht mehr kommen, wenn sich jemand nicht ausweisen kann oder möchte. Fahrscheinkontrollen wären weiter möglich, aber sinnlos. Die Schwarzfahrerquote würde stark wachsen, bis kaum noch jemand einen Fahrschein oder Zeitkarte kauft. Das hätte weitreichende Folgen für den gesamten ÖPNV.

so long

Mario
Zitat
der weiße bim

Mit dem Fehlverhalten von Autofahrern lässt sich das nicht vergleichen. Alle hierzulande zugelassenen Kraftfahrzeuge tragen ein auffälliges amtliches Kennzeichen, das direkt zum Halter und zur Verfolgung von Verkehrsdelikten führt.

Beim Falschparken? Wann? Wie oft?

Gruß Nemo
---

Eine Straßenbahn ist besser als keine U-Bahn!!
Zitat
Lopi2000
Zitat
dubito ergo sum
Das kostet den Staat laut Monitor-Recherchen mehr als 200 Millionen Euro pro Jahr...
Und somit ungefähr doppelt so viel, wie die Einnahmeausfälle durch Schwarzfahrer in der Summe von 14 der größten deutschen Städte mit etwa der Hälfte der deutschen Großstadtbewohner.
Überschlägig ist es also insoweit ein Nullsummenspiel zwischen vermeidbaren Einnahmeverlusten und Vollstreckungskosten. Nicht berücksichtigt sind dabei vermutlich zum einen Folgekosten wie eine potenzielle zusätzliche Kriminalisierung im Strafvollzug und zum anderen der Umstand, dass es ja trotz der eingesetzten Mittel zur Strafverfolgung und -vollstreckung nicht gelingt, das Schwarzfahren nennenswert einzudämmen.

Zu diesem Vergleich müsste man andererseits die Entwicklung der Schwarzfahrerquote kennen, wenn es keine vollstreckbare Strafe für Leistungserschleichung mehr gäbe.
Steigt z.B. bei der BVG die Schwarzfahrerquote von rund 5 auf 50%, dann würde der Schaden für das landeseigene Unternehmen von 35 auf 350 Millionen Euro steigen, wenn man von den Fahrgelderträgen 2016 (rund 705 Millionen Euro) ausgeht. Da deutschlandweit 10 Milliarden Fahrgäste im ÖPNV gezählt wurden (davon BVG rund eine Milliarde) dürfte der Schaden unter diesen Voraussetzungen über 3 Milliarden Euro betragen.
Dafür sind die 200 Millionen ganz gut angelegt, und werden von der Allgemeinheit und nicht nur von den ehrlichen Kunden aufgebracht ...

so long

Mario
Zitat
Nemo
Zitat
der weiße bim

Mit dem Fehlverhalten von Autofahrern lässt sich das nicht vergleichen. Alle hierzulande zugelassenen Kraftfahrzeuge tragen ein auffälliges amtliches Kennzeichen, das direkt zum Halter und zur Verfolgung von Verkehrsdelikten führt.

Beim Falschparken? Wann? Wie oft?

Guckst du hier: Verlust des Führerscheins [www.berlin.de]
Preise für das Umsetzen von verkehrsbehindernd parkenden Kraftfahrzeugen: [www.berlin.de]

so long

Mario
"104 Menschen saßen am Stichtag 11. Januar 2018 wegen des Erschleichens von Leistungen in Berliner Justizvollzugsanstalten" (sh. den heutigen von schallundrausch verlinkten Artikel in der Berliner Zeitung). Davon entfielen 14 auf die JVA für Frauen - und demnach 90 Männer. Diese Tatsache ist mir aufgefallen.

Eine Frage ist mir dazu noch eingefallen: Wie gehen BVG und S-Bahn mit obdachlosen Schwarzfahrern um? Weiß jemand etwas darüber?
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der weiße bim
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Nemo
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der weiße bim

Mit dem Fehlverhalten von Autofahrern lässt sich das nicht vergleichen. Alle hierzulande zugelassenen Kraftfahrzeuge tragen ein auffälliges amtliches Kennzeichen, das direkt zum Halter und zur Verfolgung von Verkehrsdelikten führt.

Beim Falschparken? Wann? Wie oft?

Guckst du hier: Verlust des Führerscheins [www.berlin.de]
Preise für das Umsetzen von verkehrsbehindernd parkenden Kraftfahrzeugen: [www.berlin.de]

Das es diese Möglichkeiten gibt ist klar. Das scheinen allerdings Einzelfälle zu sein, während Falschparken eher die Regel als die Ausnahme ist. Wobei ich nicht abschätzen kann, wie groß der Anteil der notorischen und gelegentlichen Falschparker an den Autofahrern ist. Ich glaube nicht, dass es da eine Abschreckung durch die möglichen Strafen gibt.

Zumal viele Verstöße nur kurz sind, sodass die Wahrscheinlichkeit erwischt zu werden klein ist. Das ist mir aber egal, ob der Radstreifen nun durch immer wieder neue Kurzparker oder durch Dauerparker dauerhaft blockiert ist.

Gruß Nemo
---

Eine Straßenbahn ist besser als keine U-Bahn!!



1 mal bearbeitet. Zuletzt am 02.02.2018 22:28 von Nemo.
Zitat
der weiße bim
(...)
Zitat
schallundrausch
Derzeit sitzen in Berliner Gefängnissen knapp über 100 Menschen wegen Leistungserschleichung ein.
Die müssen nur ins Gefängnis (dort meist in den offenen Vollzug), wenn sie zuerst das EBE und nach dem Urteil die Strafe nicht bezahlen, denn in der Regel werden diese Täter zu einer Geldstrafe verurteilt. Allein die S-Bahn Berlin GmbH zeigt jährlich über 35.000 Schwarzfahrer an, die BVG über 10.000 (trotz doppelt so vieler Fahrgäste). Nur zwei Promille der Angezeigten rückt demnach tatsächlich ein.
Also wiedermal eine Debatte, die von anderen Problemen ablenken soll.
(...)
Falls Beförderungserschleichung keinen Verdacht auf eine Straftat mehr begründet, darf niemand mehr deswegen festgehalten werden. Die Polizei wird nicht mehr kommen, wenn sich jemand nicht ausweisen kann oder möchte. Fahrscheinkontrollen wären weiter möglich, aber sinnlos. Die Schwarzfahrerquote würde stark wachsen, bis kaum noch jemand einen Fahrschein oder Zeitkarte kauft. Das hätte weitreichende Folgen für den gesamten ÖPNV.

Das stimmt, nur eine kleine Minderheit muß wegen Nichtzahlens des EBE und einer Geldstrafe in den Bau (in Berlin inzwischen offenbar in der Regel in den geschlossenen Vollzug). Womöglich sollte auf die Umwandlung von Geldstrafen in Ersatzfreiheitsstrafen verzichtet werden, die Tendenz scheint ja ohnehin in diese Richtung zu gehen.

Oder, konsequent: Die Ersatzfreiheitsstrafe wird abgeschafft.

Ich kann Deine Sichtweise (viel mehr Schwarzfahrer in den Bahnen, wenn Beförderungserschleichung keine Straftat mehr ist, bundesweit Einnahmeverluste in Milliardenhöhe) natürlich schon verstehen.

Es besteht meines Erachtens aber dennoch Handlungsbedarf. Der Rechtsanwalt Dr. Olaf Heischel (Vorsitzender des Berliner Vollzugsbeirats, [berliner-vollzugsbeirat.de]) hat sich im Jahr 2011 mit der Problematik der sogenannten "Kurzfreiheitsstrafer" detailliert beschäftigt. Das Thema ist mir wichtig, erlaubt mir daher eine Auswahl von Zitaten aus "Ersatzfreiheitsstrafer - Fakten, Thesen und Anregungen des Berliner Vollzugsbeirats - BVB - " und meiner Meinung dazu:

"Ersatzfreiheitsstrafen beruhen vergleichsweise sehr oft auf der Ahndung von Vergehen gegen zivilrechtliche Interessen, die zivil, effektiver, rechtsnäher und vor allem billiger verteidigt werden könnten. Dass, um den bedeutsamsten Fall zu erwähnen, das zivilrechtliche Interesse der Berliner Verkehrsbetriebe an € 6,30 bei drei Mal nicht gezahltem Beförderungsentgelt von der Allgemeinheit mit etwa 30 Haftplatztagen zu je ca. € 100,--, insgesamt also € 3.000,-- (hinzu kommen Kosten der Strafverfolgung, Verurteilung und Vollstreckung mit teilweise sicher noch einmal bis zu € 3.000,-- pro Fall) zu bezahlen ist, erscheint erklärungs- und rechtfertigungsbedürftig." (S. 2)

Der Anstaltsbeirat der JVA Plötzensee sieht "einen Änderungsbedarf primär im privatwirtschaftlichen Bereich der Berliner Verkehrsbetriebe (insbesondere Schaffung von Zugangskontrollen/-sperren in den Bereichen des Öffentlichen Personennahverkehrs, in denen sie abgeschafft wurden) und bei der Nicht-Verfolgung solcher Delikte auf Kosten der Allgemeinheit. Die durch die Fehlorganisation im Privatbereich verursachten Kosten für die Allgemeinheit seien aberwitzig. Sie ließen sich für den Bereich des Vollzuges beispielsweise für die 1700 im Jahr 2008 wegen Schwarzfahrens in der JVA Plötzensee eingesessen habenden Ersatzfreiheitsstrafer mit ca. 4,5 Millionen Euro beziffern." (S. 3)

"Ein großer Anteil der Ersatzfreiheitsstrafer ist suchtkrank (abhängig von Alkohol und illegalen Betäubungsmitteln), sozial sehr randständig und auch sonst in körperlich oder psychisch schlechtem Zustand bzw. richtig krank. (...)

Die zu verbüßenden Haftzeiten sind vergleichsweise kurz; sie dürften in der Regel zwischen drei und neun Monaten liegen.

Daraus ergibt sich für den Vollzug, dass der Auftrag des Gesetzes, Resozialisierungsarbeit, schon aus zeitlichen Gründen und vollkommen ungeachtet der obengenannten Gesundheitsproblematiken nicht geleistet werden kann. Auch Schul- und Berufsabschlüsse zur Verbesserung der Wiedereingliederungschancen nach der Haft sind nicht möglich, nicht einmal Kurzausbildungen. Selbst die Vermittlung in Arbeit oder halbwegs sinnvolle Beschäftigungen sind regelmäßig unmöglich. (...)

Im Sinne des Strafvollzugsgesetzes ist der Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen also nicht gestaltbar. Wer soziale Bezüge oder gar Arbeit hat(te), wird durch den Kurzvollzug sogar aus ihnen herausgerissen; was dem gesetzlichen Gebot der Vermeidung kurzer Freiheitsstrafen (s. § 47 StGB) Hohn spricht. (S. 4)

Die Tagessatzhöhen von Geldstrafen gegen Einkommensschwache sind oft deutlich überhöht. Bei einem Sozialleistungsbezieher sollte nur der Mindesttagessatz von 1 € - bei 30 Tagessätzen ergäbe das eine Geldstrafe von 30 € - festgelegt werden. Dies wäre eine vernünftige Relation zu den 8,40 € für dreimaliges Schwarzfahren (S. 5)

"Kann eine Geldstrafe nicht eingebracht werden, wird gemäß § 459e StPO die Ersatzfreiheitsstrafe angeordnet. (Zum Gesetzlichen unten mehr.) Also zwar nicht „Geld oder Leben!“, aber immerhin: „Geld oder Freiheit!“ (...)

"Die der (sehr einfachen -s.u.-) Möglichkeit der Umwandlung einer Geldstrafe in eine Freiheitsstrafe zugrunde liegende Theorie ist wohl, dass damit Zahlungsdruck auf den Verurteilten ausgeübt werden soll. Es soll keiner um seine Strafe herumkommen, schließlich kommt sie von der Obrigkeit höchstselbst.

Die Möglichkeit der Umwandlung wie auch die Umwandlung selbst sind im Gesamtsystem kritisch zu sehen. Zum einen ist der „Schuldturm“ – die zivilrechtliche Erzwingungshaft zur Begleichung zivilrechtlicher Schulden – seit etlichen Jahrzehnten und trotz jahrhundertelanger Wirksamkeit in Deutschland abgeschafft. Die schlimmste Folge der Nichtzahlung von Schulden, und seien sie noch so hoch und der Schuldner noch so böse, ist die Abgabe der „Eidesstattlichen Versicherung“; wenn man die verweigert, kann man für sehr kurze Zeit verhaftet werden, mehr aber nicht. Geht man mit den vorliegenden Untersuchungen und Berichten davon aus, dass die weit überwiegende Mehrzahl der Ersatzfreiheitsstrafer nicht zahlen kann (s. Konrad, aaO. –Fn.1- kommt auf lediglich 14 % die nicht wollen), ist das Argument des notwendigen Drucks vielleicht doch wie die Forderung an einen Beinlosen, einen Hürdenlauf zu absolvieren." (S. 6)

"Schwitzen statt Sitzen" hält der Autor trotz der damit verbundenen Probleme für erfolgversprechend:

"Objektiv betrachtet sind die menschlichen und finanziellen Erfolge von „Arbeit statt Strafe“ dennoch enorm. Wer nicht zu den 25 % gehört, die den Weg erst gar nicht gefunden haben, hatte die meist genutzte Chance, seine Tage für sich und andere sinnvoll zu verbringen, Anregungen und Hilfen für eine verbesserte Lebenssituation zu bekommen, über die Staatsanwaltschaft oder die Gnadenbehörde Stundungen, Ratenzahlungen oder (Teil-) Erlasse der Geldstrafe zu erreichen und eine Inhaftierungszeit zu vermindern wenn nicht zu vermeiden.

Hinsichtlich des finanziellen Nutzens für die Allgemeinheit könnte man mindestens und grob gerechnet die ersparten Aufwendungen für die ersparten Ersatzfreiheitsstrafenvollstreckungen ansetzen, plus die dank Betreuung noch eingebrachten Geldstrafentilgungen; dagegenzurechnen sind die Kosten für Sozialarbeiter, Infrastruktur und Organisation auf Seiten der drei Träger. In 2009 erreichten die drei Projekte die Tilgung von zusammen 191.804 Tagessätzen durch Arbeit (ca. 95 %) oder doch noch veranlasste bzw. ermöglichte Zahlungen (ca. 5 %).

Das kann man umrechnen auf 525 ersparte Haftjahre. Oder bei einem annehmbaren Haftkostensatz von € 100 auf € 19.180.400; von denen die weit darunter liegenden Kosten für die Arbeit der drei Träger abzuziehen wären.

Zum Vergleich: Diese 19 Millionen Euro sind mehr als 10 % des Berliner Landesetats für den Justizvollzug einschließlich der Kosten für die drei Träger von „Arbeit statt Strafe“. (S. 8)

"Im Gegensatz zu Beitreibungsmaßnahmen ist die Umwandlung einer gerichtlich verhängten Geldstrafe in eine Freiheitsstrafe ein Klacks: Hat der Rechtspfleger den Verurteilten vergeblich zur Zahlung der Geldstrafe (und der auferlegten Verfahrenskosten) aufgefordert bzw. „kann die Geldstrafe nicht eingebracht werden“ oder unterbleibt sie nach § 459c Abs. 2 StPO, macht der Rechtspfleger einen ordentlichen Vermerk hinsichtlich des Vorliegens dieser Bedingungen; und schickt dem Verurteilten die Ladung zum Strafantritt gemäß § 459e StPO i.V.m. §§ 49, 50 StVollstrO. Nach der gängigen Rechtsprechung muss dem Verurteilten vorher noch nicht einmal Rechtliches Gehör gewährt werden. 8

Dafür nimmt man Bezug auf § 43 StGB, in dem es heißt: „An die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe tritt Freiheitsstrafe. Einem Tagessatz entspricht ein Tag Freiheitsstrafe.“

Da tritt sie also nun.

Angesichts des Prinzips der Schuldstrafe, des Freiheitsgrundrechts gemäß Art. 2 GG, des Anspruchs auf Rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG und des Anspruch auf richterliche Entscheidung bei einer Freiheitsentziehung gemäß Art. 104 Abs. 2 GG ist es absurd, dass ein Mensch, der wegen eines Vergehens zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist (weil seine Schuld / die Tatschuld nicht groß genug war, um sie nach den Regeln des § 46 StGB mit einer Freiheitsstrafe zu ahnden), durch einen Justizverwaltungsakt zum Freiheitsstrafer wird." (S. 10)

"Abgesehen von der Möglichkeit dann doch gerichtlicher(!) Anordnung des (auch teilweisen) Unterbleibens der Vollstreckung der Geldstrafe gemäß § 459d StPO kann das Gericht(!) gemäß § 459f StPO auch das Unterbleiben der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe anordnen, „wenn die Vollstreckung für den Verurteilten eine unbillige Härte wäre.“

Warum es zur Anordnung der Nichtvollstreckung (rechtlich: des Aufschubes) einer Ersatzfreiheitsstrafe einer richterlichen Prüfung und Anordnung bedarf, wohingegen die Vollstreckung dieser richterlich nicht verhängten, ursprünglich als falsche Sanktion erkannten (Ersatz-) Freiheitsstrafe nur durch ein paar justizbehördliche Federstriche möglich sein soll, ist widersprüchlich – euphemistisch formuliert." (S. 11)

"Das Gros der Geldstrafen liegt deutlich unter 180 Tagessätzen und damit bei Umwandlung in Ersatzfreiheitsstrafe in dem Bereich, der vom Gesetz als „kurze Freiheitsstrafe“ angesehen wird. Kurze Freiheitsstrafen dürfen gemäß § 47 StGB „nur in Ausnahmefällen“ verhängt werden, „wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen.“. Die Rechtsprechung legt die Merkmale des § 47 StGB einschließlich der „Unerlässlichkeit“ streng aus. Das heißt, dass die Gerichte zu einer intensiven Prüfung verpflichtet sind.

Bei der Ersatzfreiheitsstrafe bzw. ihrer Anordnung prüft niemand auch nur ansatzweise diese oder entsprechende Merkmale." (S. 11)

Auf den Seiten 13 und 14 geht es dann um eine richtige Rechtsanwendung auch gegenüber Armen:

" - Die Verurteilung erfolgte nach dem Schuldstrafrecht zu Geldstrafe. Freiheitsstrafe ist keine Geldstrafe.

- Kurze Freiheitsstrafen sind nach den Kriterien des § 47 StGB zu vermeiden.

- Das Strafrecht ist letztes Mittel sozialer Regulierung (`ultima ratio´), die Freiheitsstrafe, zumal ohne Bewährung, schwerste Sanktion.

- Tagessatzhöhen sind realistisch nach dem Einkommen des Betroffenen festzusetzen. Bei Sozialleistungsempfängern ist zu bedenken, dass jeder Betrag sein Lebensniveau unter das hierzulande als menschenwürdig angesehene drückt.

- Bei „Arbeit statt Strafe“ ist nicht nur zu berücksichtigen, dass ein Tag Freiheitsentzug niemals ein Äquivalent für einen als Strafe zu zahlenden Geldbetrag sein kann, sondern auch, dass die zur „Tilgung“ aufzuwendende Arbeitszeit in angemessenem Verhältnis zur üblichen Entlohnung stehen sollte.

- Sofern die Ersatzfreiheitsstrafe nicht aus rechtlichen Erwägungen abzuschaffen ist, hat jedenfalls die Umwandlung der Geldstrafe in die Ersatzfreiheitsstrafe durch den Richter zu erfolgen; dieser hat, bei entsprechender Neufassung von Regeln i.S.d. § 459f StPO, insbesondere zu prüfen, ob der Verurteilte die Geldstrafe absichtlich nicht zahlt, oder wegen subjektivem (z.B. wegen einer Suchterkrankung) oder objektivem Unvermögen." (S. 13)

" - Sollten Bagatellstraftaten wie „Schwarzfahren“ und Ladendiebstahl nicht aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden, ist, wenn die Geringwertigkeitsgrenze des § 248a StGB nicht überschritten wird und ein Strafantrag vorliegt, regelmäßig eine „Geldstrafenaussetzung zur Bewährung“ im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 3 StGB angemessen.

- Gemeinnützige Arbeit kann als selbständige Sanktion jedenfalls für Bagatellstraftaten und solche Fälle vorgesehen werden, in denen sie der Wiedereingliederung des Verurteilten dienen kann.

- Die Reduzierung von Geldstrafen kann gesetzlich für den Fall vorgesehen werden, dass der Verurteilte sich wohlverhält 11 oder z.B. erkennbar unter Mühen einen Teil bezahlt hat." (S. 14)

Kurz vor dem Schluß, auch auf Seite 14, dann noch die Meinung des Autors zur Entkriminalisierung:

" - Nach dem Grundsatz, dass Strafrecht die „ultima ratio“ zur Eindämmung falschen Verhaltens ist, ist die Strafbarkeit von Bagatelldelikten wie „Schwarzfahren“ und Ladendiebstahl, mindestens jedoch ihre strafrechtliche Verfolgung, dann nicht anzunehmen, wenn 1. die potentiell Geschädigten nicht für zumutbare Gegenmaßnahmen (z.B. Zugangssperren; Aufsicht) sorgen; 2. Zivilstrafen („erhöhtes Beförderungsentgelt“; „Bearbeitungsgebühren“) möglich sind; und 3. keine besonderen Umstände (wie z.B. aktive Täuschungshandlungen; Überschreitung der Geringwertigkeitsgrenze des § 248a StGB; u.ä.) vorliegen.

- Bei der Verfolgung der genannten Bagatellstraftaten liegt in der Regel kein „Öffentliches Interesse“, schon gar kein „besonderes Öffentliches Interesse“ vor."

Dem kann ich mich nur anschließen. Abschließend noch ein Link dazu: [berliner-vollzugsbeirat.de]

Wer diesem Text bis hierher gefolgt ist, dem wünsche ich ein schönes Wochenende,
Marienfelde



4 mal bearbeitet. Zuletzt am 03.02.2018 10:45 von Marienfelde.
Dein Beitrag listet schön auf, wie die Erosion des Rechtsstaates funktioniert. Dem erkannten Systemfehler, dass die Umwandlung einer Geld- in eine Ersatzfreiheitsstrafe ohne richterliche Anordnung und Prüfung erfolgt, folgt eine krasse Fehleinschätzung - oder vermutlich verengte Sicht auf die eigenen Systembelange. Die Justiz ist nicht überlastet, weil es zu viele Verfahren gibt, sondern weil es ganz offenbar zu wenig Strafverfolger gibt und so ganz defacto und tagtäglich Rechtsbruch durch Nichtverfolgung von Straftaten (und damit Ungleichbehandlung von Straftätern) erfolgt.

Und natürlich lässt es enorm aufhorchen, dass hier neben dem Erschleichen von Leistung auch der Ladendiebstahl "entkriminalisiert" werden soll. Der Täterkreis dürfte sich hier sogar überschneiden und damit sind wir erneut bei falschen Schlussfolgerungen aus richtigen Erkenntnissen: Suchtkranke brauchen Hilfe! Entkriminalisierung nützt ihnen gar nichts, denn nur weil es keine Straftat mehr ist, hören sie nicht auf Rechtsbruch zu begehen und damit enorme(!) finanzielle Schäden zu verursachen, die letztendlich auch der Steuerzahler irgendwie ausgleichen muss.

Die Schlussfolgerung der Zugangssperren ist schlichtweg realitätsfern, weil es nicht nur die finanzielle Hürde gibt, sondern schlichtweg die Unmöglichkeit besteht das System komplett abzuschließen.

Und natürlich fehlt der Punkt völlig, dass es dann zu Ersatzhandlungen kommt, wenn diese Delikte gestrichen werden und damit lediglich eine Verschiebung erfolgt. Zum Beispiel:
Zitat
StGB
§ 123 Hausfriedensbruch
(1) Wer in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind, widerrechtlich eindringt, oder wer, wenn er ohne Befugnis darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt.

Das trifft dann aber auch wieder vor allem Obdachlose und Suchtkranke, während die "Entkriminalisierung" des Schwarzfahrens aber Jene entlastet, die es sich leisten können. Da teile ich die Befürchtung vom weißen Bim voll und ganz. Ich sehe ja den Unterschied in meinem Unternehmen. Sind die Kontrolleure unterwegs, dann steigt bei mir der Verkauf von Fahrkarten deutlich(!) an. Und obwohl der Buschfunk funktioniert, ziehen die Kontrolleure immer noch Leute raus. Und das sind dann meist die, denen es völlig egal ist, weil sie "zahlungsunfähig" sind. Ich musste selbst schon mit der Polizei drohen, weil zwei Schwarzfahrer weder zahlen noch aussteigen wollten. Erst als ich die Meldekette in Gang setzte, sind sie dann doch lieber ausgestiegen. Damit allerdings auch "entkommen", obwohl es "Serientäter" sind.

Meine Schlussfolgerung aus den aufgebrachten Punkten bleibt gleich und ich sehe mich bestätigt:
1. Suchtkranken muss geholfen werden (auch wenn die Betreuung ebenfalls viel Geld kostet).
2. Ersatzfreiheitsstrafe muss die Ultima Ratio sein, wenn weder Ratenzahlung noch soziale Arbeit greifen.

ABER: Erschleichung von Leistung und Ladendiebstahl sind als Straftatbestände korrekt angesiedelt!

--- Signatur ---
Bitte beachten Sie beim Aussteigen die Lücke zwischen Bus und Bordsteinkante!
Zitat
Jay
Dein Beitrag listet schön auf, wie die Erosion des Rechtsstaates funktioniert. Dem erkannten Systemfehler, dass die Umwandlung einer Geld- in eine Ersatzfreiheitsstrafe ohne richterliche Anordnung und Prüfung erfolgt, folgt eine krasse Fehleinschätzung - oder vermutlich verengte Sicht auf die eigenen Systembelange. Die Justiz ist nicht überlastet, weil es zu viele Verfahren gibt, sondern weil es ganz offenbar zu wenig Strafverfolger gibt und so ganz defacto und tagtäglich Rechtsbruch durch Nichtverfolgung von Straftaten (und damit Ungleichbehandlung von Straftätern) erfolgt.
(...)

Du fährst ja wirklich schweres Geschütz auf. Erosion des Rechtsstaates: Da fällt mir wieder der Artikel 87e Abs. 4 des Grundgesetzes ein, in dem seit Weihnachten 1993 ein "Fernverkehrsgesetz" vorgesehen ist. Der Gesetzgeber selbst hält sich seit nunmehr fast 25 Jahren nicht an das von ihm selbst beschlossene Grundgesetz - das wäre für mich ein Beispiel für die Erosion des Rechtsstaats.

Bei Diesel-PKW werden Verstöße gegen geltendes Recht von Staats wegen einfach hingenommen - hier ist immerhin Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes ("Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit") berührt. So etwas ist für mich "Erosion des Rechtsstaates".

Die Verfolgung von Straftaten, in denen es im Extremfall um einen Schaden von 8,40 € geht, über das EBE hinaus halte ich für lächerlich und unangemessen.

Wir stehen uns inhaltlich ja meistens verdammt nah - aber hier kann ich Dir wirklich nicht folgen.
Zitat
der weiße bim
Zitat
Lopi2000
Zitat
dubito ergo sum
Das kostet den Staat laut Monitor-Recherchen mehr als 200 Millionen Euro pro Jahr...
Und somit ungefähr doppelt so viel, wie die Einnahmeausfälle durch Schwarzfahrer in der Summe von 14 der größten deutschen Städte mit etwa der Hälfte der deutschen Großstadtbewohner.
Überschlägig ist es also insoweit ein Nullsummenspiel zwischen vermeidbaren Einnahmeverlusten und Vollstreckungskosten. Nicht berücksichtigt sind dabei vermutlich zum einen Folgekosten wie eine potenzielle zusätzliche Kriminalisierung im Strafvollzug und zum anderen der Umstand, dass es ja trotz der eingesetzten Mittel zur Strafverfolgung und -vollstreckung nicht gelingt, das Schwarzfahren nennenswert einzudämmen.

Zu diesem Vergleich müsste man andererseits die Entwicklung der Schwarzfahrerquote kennen, wenn es keine vollstreckbare Strafe für Leistungserschleichung mehr gäbe.
Steigt z.B. bei der BVG die Schwarzfahrerquote von rund 5 auf 50%, dann würde der Schaden für das landeseigene Unternehmen von 35 auf 350 Millionen Euro steigen, wenn man von den Fahrgelderträgen 2016 (rund 705 Millionen Euro) ausgeht. Da deutschlandweit 10 Milliarden Fahrgäste im ÖPNV gezählt wurden (davon BVG rund eine Milliarde) dürfte der Schaden unter diesen Voraussetzungen über 3 Milliarden Euro betragen.
Dafür sind die 200 Millionen ganz gut angelegt, und werden von der Allgemeinheit und nicht nur von den ehrlichen Kunden aufgebracht ...

Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die Schwarzfahrer weiter verfolgt werden, auch wenn es eine Ordnungswidrigkeit ist. Allerdings führt die Ordnungswidrigkeit meines Wissens nach ohne den Umweg oder mit deutlich weniger Belastungen der Justiz zu einer Ersatzfreiheitsstrafe.

Zudem lässt du unberücksichtigt, dass Menschen, die eine Strafe nicht zahlen können, und die kein ausreichendes Vermögen aufweisen, um die Strafe dagegen zu vollstrecken (Pfändung durch Gerichtsvollzieher) erst die Ersatzfreiheitsstrafe antreten müssen. Menschen, die aber kein ausreichendes Vermögen haben, um die mutmaßlich nicht einmal hohe Strafe daraus zu bedienen, werden vermutlich auch sonst in wirtschaftlichen Schwierigkeiten sein. Sie können sich also gar keinen Fahrausweis leisten. Das bedeutet, dass sie, falls sie vom Schwarzfahren absehen, auf die Beförderungsmöglichkeit mit regelmäßig verkehrenden Verkehrsmitteln verzichten müssen.

Es entsteht also gar kein Schaden, so lange ein zahlender Fahrgast nicht von der Mitfahrt abgehalten wird. Der Schwarzfahrer, der eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten muss, weil er kein Vermögen hat, welches der Gerichtsvollzieher pfänden könnte, kann sich nämlich ohnehin kein Ticket kaufen.
Zitat
Marienfelde
Zitat
Jay
Dein Beitrag listet schön auf, wie die Erosion des Rechtsstaates funktioniert. Dem erkannten Systemfehler, dass die Umwandlung einer Geld- in eine Ersatzfreiheitsstrafe ohne richterliche Anordnung und Prüfung erfolgt, folgt eine krasse Fehleinschätzung - oder vermutlich verengte Sicht auf die eigenen Systembelange. Die Justiz ist nicht überlastet, weil es zu viele Verfahren gibt, sondern weil es ganz offenbar zu wenig Strafverfolger gibt und so ganz defacto und tagtäglich Rechtsbruch durch Nichtverfolgung von Straftaten (und damit Ungleichbehandlung von Straftätern) erfolgt.
(...)

Du fährst ja wirklich schweres Geschütz auf. Erosion des Rechtsstaates: Da fällt mir wieder der Artikel 87e Abs. 4 des Grundgesetzes ein, in dem seit Weihnachten 1993 ein "Fernverkehrsgesetz" vorgesehen ist. Der Gesetzgeber selbst hält sich seit nunmehr fast 25 Jahren nicht an das von ihm selbst beschlossene Grundgesetz - das wäre für mich ein Beispiel für die Erosion des Rechtsstaats.

Bei Diesel-PKW werden Verstöße gegen geltendes Recht von Staats wegen einfach hingenommen - hier ist immerhin Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes ("Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit") berührt. So etwas ist für mich "Erosion des Rechtsstaates".

Die Verfolgung von Straftaten, in denen es im Extremfall um einen Schaden von 8,40 € geht, über das EBE hinaus halte ich für lächerlich und unangemessen.

Wir stehen uns inhaltlich ja meistens verdammt nah - aber hier kann ich Dir wirklich nicht folgen.

Ich glaube du erkennst die Tragweite des Ganzen nicht. 87e misstfällt mir ebenso, wie das fehlende Hauptstadt(finanzierungs)gesetz, das Wowereit dem Bund abtrotzen konnte. Beim Diesel-PKW gibt es zwar sehr weitreichende Indizien, aber keine gefestigte Rechtslage. Im Augenblick wird das Thema ja auch gerichtlich ausgefochten.

Das Aufheben von Straftatbeständen, von denen sich viele Bürger aber ganz direkt betroffen fühlen - nämlich indem sie an der Ladenkasse und am Fahrkartenautomaten bezahlen - ist aber eine ganz andere Ebene. Das erschüttert den Glauben ins System noch stärker, als er schon gefühlt erschüttert ist. Die AfD hat diese Stimmung aufgefangen und schlägt daraus unmittelbar Profit. Ich will keine 20+% AfD (in ihrer aktuellen Form) in den Landtagen oder im Bundestag haben. Genau das ist aber die Folge davon, wenn diese Fehlentwicklung weiter geht und man die Justiz nur entlastet, indem man justiziable Dinge abschafft, statt die eigentlichen (Überlastungs-)Probleme anzugehen. Denn genau das ist die Form der Erosion, die ich meine.

Es geht eben auch nicht nur um 8,40€. Das ist lediglich der festgestellte Streitwert für die Fälle, in denen die Person erwischt wurde und die dann zu einer Anzeige zusammengefasst wurden. Oftmals gibt es bis zur Gerichtsverhandlung weitere Feststellungen und bei der geringen Kontrollquote muss man kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass die Zahl der nicht festgestellten Fälle deutlich(!) höher sein dürfte.

Dass du in diesem Fall so völlig anders denkst, dürfte daran liegen, dass dir die Sicht durch die Brille eines Fahrdiensttätigen fehlt. Es ist äußerst frustrierend mitzuerleben, wie jemand seinen Perso zückt und den Kontrolleuren lächelnd erzählt, dass ihm sowieso nichts passiert und sie ihn gern auch das xte Mal aufschreiben dürfen. Oder eben auch den oben von mir beschriebene Fall. Genauso wie der häufige Versuch zu tricksen, indem zwar eine Fahrkarte gekauft wird, aber nicht die korrekte. Ebenso hab ich in den letzten Monaten mehrfach Personal in Supermärkten erlebt, das Ladendiebe erwischt hat. Und da komme ich dann auch wieder auf den Punkt von oben zurück. Entkriminalisierung hilft den Suchtkranken nicht! Sie brauchen echte Hilfe!

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