Zitat
B-V 3313
1. Merkwürdigerweise scheinen die Kurfürstendammlinien damals relativ schwach besetzt gewesen zu sein. Die Takte waren relativ schwach (jeweils alle 20 Minuten), auf Bildern sieht man meistens nur Einzeltriebwagen. Wenn, dann war höchstens ein Beiwagen vorhanden. Wahrscheinlich kam die Einstellung kurz bevor der Kurfürstendamm "durchstartete" (ja, liebe Autofans, das lag natürlich nur an der Straßenbahneinstellung und den später geschaffenen Parkplätzen dort...).
2. Ich bleibe dabei, man hätte spätestens 1960 das Ruder rumreißen müssen.
Das Spandauer Restnetz im Jahr 1965 hatte leider auch schon große Schwächen. Ein "weiter so" um dann eventuell in den späten 70ern oder frühen 80ern darauf wiederaufzubauen, wäre nicht zweckmäßig gewesen. Nehmen wir die 55. Die war die schwächste Linie. Zwar verkehrte sie über Siemensstadt und dort gab es einen starken Berufsverkehr, aber den hatten schon die Busse übernommen. Wer jetzt nicht gerade sein Ziel genau an der 55 hatte, der wartete doch nicht in Mittellage auf die Straßenbahn, während am Straßenrand die Busse im Sichtabstand fuhren!
Da bin ich wieder bei 1960 - als im Oktober die 35 eingestellt wurde, verschwanden auch die E-Serien der Straßenbahn in Siemensstadt. Seit dem hatte der Bus dort die Oberhand, der A99 ab September 1961 war auch noch schneller in Spandau. Die Straßenbahn war dort verloren.
Die Kant- und Heerstraßenlinien waren zwar stark - gerade zu Messezeiten oder wenn im Olympiastadion oder in der Waldbühne etwas los war. Ihnen fehlte aber westlich der Pichelsdorfer Straße die Weiterführung in die gerade im Bau befindlichen Großsiedlungen an der Staakener Heerstraße. Das hätte Investitionen erfordert.
Die 53 und 54 waren da noch am besten aufgestellt, eine (problemlos machbare) Führung zum Zoo vorausgesetzt. Leider hatte auch sie mit den parallelen Bussen zu kämpfen, neben dem Schnellbus AS1 auf den Abschnitten Luisenplatz - Zoo und Spandau, Markt - Ruhleben. Sie hatten noch einen anderen "Fehler": Sie umgingen das Rathaus Spandau, das sich damals langsam aber sicher zu dem Verkehrsknotenpunkt im Bezirk entwickelte. Die Buslinie 54 (heute M45) korrigerte diesen Fehler sofort, also hätte man auch hier Geld in die Hand nehmen müssen.
Die entstehende Großsiedlung im Falkenhagenr Feld hatte, wie Neustaaken, auch keine Anbindung. Das sind alles Sachen, die man hätte angehen können. Aber das wäre wohl nur bei einem weiter existierenden Netz sinnvoll gewesen. Die Verwaltung eines Restnetzes wäre nicht sinnvoll gewesen.
3. Der Senat hat den Start der Straßenbahn in Spandau übrigens kürzlich von 2029 auf 2032 verschoben, aber lasst uns das lieber woanders diskutieren...
Vorab: Diese rückwärtsgerichteten Debatten sind natürlich rein akademisch, sie können im Nachhinein ja leider nichts mehr ändern. Sie können aber Hinweise geben für die heutige und auch die künftige Verkehrspolitik. Um auf Deinen Beitrag besser eingehen zu können, habe ich die Nummern 1., 2. und 3. vorangestellt.
Zu 1.: Ja, die "Kurfürstendammlinien" waren wohl nicht die vom Fahrgastaufkommen her stärksten Linien im Netz. Dennoch berichteten die (noch nicht so heißenden) Berliner Verkehrsblätter in ihrer ersten Ausgabe über die selbst geschaffenen großen Probleme, die die BVG-West hatte, diese gar nicht so große Fahrgastzahl mit den Büssing D2U zu befördern.
Auch heute halte ich den oberen Kurfürstendamm vom Fahrgastbedarf her für eindeutig straßenbahnwürdig, auch nach der ja seit 1954 noch ausstehenden Verlängerung der heutigen U 1 zum heutigen Adenauerplatz (nebenbei: Warum diese Person ausgerechnet im ehemaligen Berlin (West) mit einem Platz geehrt wird, hat sich mir bis heute noch nicht erschlossen).
Eine Tramstrecke auf dem Kurfürstendamm wäre sicher ein Symbol für eine stark veränderte Verkehrspolitik, aber für die langfristig unbeirrt zu verfolgende Perspektive eines in alle Westbezirke zurückgekehrten Gesamtberliner Straßenbahnnetzes nicht von so einem zentralen Interesse wie zum Beispiel der Wiederaufbau der Strecke in der Kantstraße, weil sich nach dem S-Bf Halensee vom erwartbaren Fahrgastpotential her keine einzige Fortsetzung wirklich aufdrängt.
Zu 2.: Zunächst sei auf die beachtliche Größe eines "Spandauer Restnetzes" (nach Sascha Teichmann komme ich auf rund 39 linienmäßig befahrene Kilometer und knapp 4 Kilometer Betriebsstrecken, wenn ich mich nicht vertan habe) hingewiesen. Viele deutsche Straßenbahnbetriebe sind vom Netz her auch nicht größer, teilweise sogar deutlich kleiner.
Abgesehen von der "55" hätten die von Dir beschriebenen Mängel bei den vier anderen (stärkeren?) Linien ja durchaus behoben werden können (Anfang 1965 wäre eine Ergänzung der "55" in Richtung Moabit und Wedding übrigens auch noch möglich gewesen).
Das Falkenhagener Feld war zu dieser Zeit bereits im Aufbau, bei einer richtigen Verkehrspolitik wäre die Einordnung einer neuen Tramstrecke auf Stadtbahnniveau also relativ problemlos möglich gewesen.
Vor allem aber ist Politik alles andere als ein ausschließlich rationaler Prozeß - dies gilt auch und gerade für die Verkehrspolitik. Eine wirklich "verwissenschaftlichte" Verkehrspolitik gab es bis jetzt wohl in keinem Land der Welt. Vielleicht gab es dafür in gewissem Sinne Ansätze in der Sowjetunion: Eine Großstadt bekam eine Straßenbahn, was in einem System mit lange sehr ausgeprägter (verkehrspolitisch richtiger!) Vorherrschaft der kollektiven Verkehrsmittel durchaus einen Sinn ergab (analog: Millionenstädte sollten eine Metro bekommen, kleinere Städte evtl. einen Trolleybus).
In einer Stadt wie Berlin ist "objektiv" nach S- und U-Bahn und neben dem Autobus genug Platz für die Straßenbahn, und zwar in allen Bezirken - auch im "Altbezirk" Zehlendorf wäre eine Straßenbahn z.B. von Steglitz nach Zehlendorf-Mitte sinnvoll.
"Objektiv" war Platz für die Straßenbahn - das war 1965 nicht anders. Ich behaupte: Wenn Leute wie wir das damals hätten entscheiden können, hätte jedenfalls das "Restnetz" in Spandau und Charlottenburg einschließlich des "Abstechers" nach Moabit überlebt und wäre modernisiert und erweitert worden.
Bei den übrigen (weiter östlichen, "abgetrennten" Linien) läßt sich darüber sicher streiten, obwohl nach meiner Überzeugung z.B. die damalige verkürzte "47" auch heute (trotz U-Bahn) nicht uninteressant wäre.
Eine Straßenbahn läßt sich nicht mal eben so wiederherstellen, kommentierte ein Unterzeichner der Petition für den Erhalt der Straßenbahnlinie 61 zwischen Friedrichshagen und Rahnsdorf, Waldschänke.
Solange in irgendeiner beliebigen, "objektiv straßenbahnwürdigen" Stadt auch nur wenige Kilometer Tramstrecke vorhanden sind, sollte man diese konsequent verteidigen, um die Chance zu wahren, sie von dieser Strecke ausgehend unter günstigeren Bedingungen wieder erweitern zu können. Mit Ulm gibt es sogar ein Beispiel dafür.
Zu 3.: Wenn im Jahr 2032 in Spandau Straßenbahnen aus eigener Kraft fahren würden, würde ich das als einen ganz großen Erfolg des "Lagers" der verkehrspolitisch Vernünftigen ansehen - was zählen da schon drei Jahre!
Allseits einen schönen Abend wünscht Euch
Marienfelde