Zitat
Henrik
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Nach Lankwitz die U 9 auf der "ehem" Strecke verlängern, wäre auch nicht die schlechteste Idee gewesen.
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Es wäre die schlechteste Idee gewesen - auch wenn diese Planung seinerzeit von Teilen der Senatsverwaltung für Verkehr und der CDU in den späten 1980er Jahren stark favorisiert wurde.
Doch der Reihe nach.
Ich war 1986 einer der engagiertesten Unterstützer des S-Bahn-Bürgerbegehrens zur Wiederinbetriebnahme der S-Bahn nach Lichterfelde Süd und damals sogar derjenige, der die meisten Unterschriften als Einzelperson für diese Strecke gesammelt hat.
Ein wesentlicher Grund für die Stillegung der S-Bahn nach Lichterfelde Süd war 1984, dass sich der Berliner Senat einen sinnvollen Betrieb nur im Zusammenhang der Verlängerung der U9 nach Lankwitz vorstellen konnte. Zudem wollte Daimler Benz den Spurbus in Berlin ausprobieren. Zwar lag es natürlich räumlich näher, dafür die S-Bahnstrecke nach Lichtenrade zu verwenden, doch wäre es technisch schwierig gewesen, den Spurbus in Marienfelde und weiter nördlich über die Trasse der Dresdner Bahn zu führen. Seinerzeit herrschte in Marienfelde noch erheblicher Güterverkehr, und nördlich des Bahnhofs nutzte die DR die S-Bahngleise für den Güterverkehr mit. Der Bau einer Spurbustrasse hätte also erhebliche Umbauten erfordert - auf der Anhalter Bahn, wo es seit 1984 nur noch einen sehr bescheidenen GV nach Lichterfelde Ost auf dem früheren Fernbahn-Gleis gab, wäre es natürlich leichter gewesen.
Gleichwohl starb das Spurbus-Projekt 1986/87 auch für die Anhalter Bahn - man hätte selbst auf der betrieblich stillgelegten S-Bahntrasse zu viel umbauen müssen, um den Spurbus dort einsetzen zu können. Zudem wäre die Linienführung von Lichterfelde via Priesterweg nach Steglitz weniger vorteilhaft gewesen.
Gegen das erwähnte S-Bahn-Bürgerbegehren gab es vor allem auf Seiten der CDU gewaltige Vorbehalte - um es zurückhaltend auszudrücken. Insbesondere der damalige Bezirksbürgermeister, ein Politiker der CDU, war über die gute Resonanz dieser Unterschriften-Aktion alles andere als "amused". Damals war direkte Demokratie für die "etablierte" Politik noch eher ungewohnt.
Um dem Bürgerdruck nicht nachgeben zu müssen und um auch die Interessen der Bauindustrie zu bedienen, kam der Senat zur Wahl 1989 hin auf die Idee, die U9 nach Lankwitz und weiter nach Lichterfelde Süd auf der S-Bahntrasse verlängern zu lassen. Die Relation der früheren S-Bahn wäre dann teils durch diese U-Bahnstrecke, teils durch die auszubauende B101 ersetzt worden. Das U-Bahnprojekt trat schließlich im Wahlkampf 1988/1989 in eine gewisse Konkurrenz zum Projekt Reaktivierung der Ringbahn. Die "Kontinuität im Tiefbau" war seinerzeit offizielles Argument für die U9!
Das Ganze wurde auch standardisierten Bewertungen unterworfen. Soweit ich mit erinnern kann, mit folgenden Ergebnissen:
U 9 nur bis Lankwitz : 0,60 KNF (Kosten-Nutzen-Faktor)
U 9 bis Lankwitz (unterirdisch) und S6 : 0,80 KNF
U 9 nach Lichterfelde Süd: 1,31 KNF (oder vielleicht auch 1,33)
S 4 (Ringbahn): >2,50 KNF (ich meine, es waren 2,69)
Noch vor den Wahlen 1989 beschloss der Senat den Bau der U9 unter Nutzung der S-Bahntrasse, wobei in Lichterfelde Süd ein Tunnelbahnhof gebaut worden wäre.
Nachdem die CDU die Wahlen Ende Januar 1989 aber verloren hatte und der erste rot-grüne Senat in Berlin folgte, wurde das Projekt dahingehend modifiziert, dass doch die S6 reaktiviert werden sollte - zuzüglich einer bahnsteiggleichen Heranführung der U9 in Lankwitz, also eine Lösung à la Wuhletal.
Der vorherige Senat hatte sich mit dem U9-Projekt vor der Wahl noch ein paar kräftige Eigentore geschossen: Bei einer Vorstellung des Projekts in einer Diskussionsveranstaltung (bei der ich auch zugegen war), vermochte es der Senat nicht, den anwesenden Journalisten die Planung verständlich zu verläutern. Was unter einer "Kombination zwischen U- und S-Bahn" zu versehen war, kam bei Teilen des Auditoriums nicht richtig an. Zudem widerlegte der Senat mit seinen eigenen Graphiken ein Haupt-Argument der U9-Verlängerung. Demnach endeten nur 8% (!) der Verkehre aus Lankwitz/Lichterfelde in Steglitz. Die übrigen 92% der Fahrgäste hatten also auch aus Sicht des Senats andere Ziele. Die IGEB vermochte daraufhin sogar den Nachweis zu erbringen, dass ein Teil der Ziele in der West-Berliner Innenstadt über die S6 (die Anbindung an Gleisdreieck vorausgesetzt) schneller zu erreichen gewesen wäre als die U9.
Im Frühjahr 1990 (mit entsprechendem Planungs-Vorlauf) begann schließlich der Um- und Neubau des S-Bahnhofs Priesterweg, der weiterhin zwei Bahnsteige vorsah. Einige Jahre vorher gab es noch Überlegungen, auf einen der beiden Bahnsteige zu verzichten. Mit der Beibehaltung der beiden Bahnsteige nebst Ausfädelung Richtung Lichterfelde Süd war im Grunde die spätere S6 bereits in die Wege geleitet, auch wenn sie dann S25 bzw. S26 heißen sollte.
Weil mein PC leider gerade ein wenig schwächelt, kommt die Fortsetzung in einem gesonderten Beitrag.
1 mal bearbeitet. Zuletzt am 11.05.2021 18:19 von Bovist66.