Hallo Andreas!
Da dieses auch für andere interessant sein könnt, schreibe ich Dir hier eine offizielle Antwort. Deine Email notiere ich mir und schreibe Dir auch noch einmal privat.
Zur Landsberger Strassenbahn kann ich folgendes sagen:
Eröffnet wurde sie m. W. nach im Jahre 1899. Eine Besonderheit war, daß es dort keine Pferdebahn gab, sondern von Anfang an Elekrtrisch gefahren wurde. Auch gab es aufgrund der winzigen Wägelchen keine Schaffner, sondern - und da weiß ich nicht mehr genau wie - entweder wurde beim Fahrer bezahlt oder es gab schon eine Zahlbox.
Es gab zwei Linien, die sich am Markt an der Marienkirche kreuzten:
- Hindenburgstrasse / Schützensee - Markt - Brückenvorstadt
- Landesanstalt (Irrenanstalt!) - Zantocher Vorstadt - Markt - Wepritzer Chaussee
Wenn man überlegt, daß es im damaligen deutschen Reich zu der Zeit wesentlich größere Städte gab, die noch keine elektrische Strassenbahn hatten und Landsberg a d Warthe damals nur ca 35 000 Einwohner hatte, so ist es doch beachtlich, wie fortschrittlich man "in der Provinz" dieser Gegend doch war.
In den 1940er Jahren sollte die Strassenbahn auf O - Bus umgestellt werden. Meines Wissens nach war sie auch schon offiziell stillgelegt. Auch weiß ich nicht, ob die Strecke in die Brückenvorstadt von den Polen noch einmal in Betrieb gesetzt wurde oder ob sie bereits seit Kriegsende stillgelegt blieb.
Am 29. oder 30. Januar 1945 verliessen die letzten deutschen Züge die Stadt, die zu der Zeit mit Flcühtlingen ca 50 000 Einwohner zählte.
Die Russen marschierten über von Nordosten in die Stadt ein (Friedeberger Chaussee, Friedeberger Strasse. Dabei brannte das Haus meiner Großeltern als erstes, da es quer zur Chaussee stand und die Russen dort Abwehr vermuteten.
Ansonsten soll bei der Einnahme von Landsberg durch die Russen kein einziger Schuss gefallen sein. Es heißt, der Russe habe die Altstadt in Brand gesteckt, um den Polen nichts zu überlassen. Daher brannte ein Großteil der Innenstadt ab.
Im Juni 1946 mußten die letzten Deutschen die Stadt verlassen.
Im März 1945 soll die Strassenbahn von den Polen wieder in Betrieb gesetzt worden sein.
In den 60er Jahren wurde das Strassenbahnnetz dann ausgebaut. Die Strecke in der Hindenburgstrasse wurde in eine neue Hochhaussiedlung verlängert (Osiedle Piaski), die Wepritzer Strecke erreichte den ehemals selbständigen Ort Wepritz und die Strecke zur ehem. Landesanstalt wurde zur Friedeberger Chaussee "umgelegt", vorbei am ehemaligen Friedhof (heute Park Koperniki) zur neuen Siedlung Silwana.
In der Form besteht das Netz auch heute noch. Es fahren 3 Linien, wobei die 3 eine reine Verstärkungslinie ist.
Linie 1 Silwana - Centrum - Wieprziece
Linie 2 osiedle Piaski - Wieprziece
Linie 3 Osiedle Piaski - Silwana
In den 1990 er Jahren kamen erstmalig ex Kasseler Gelenkwagen nach Landsberg / Gorzow. Inzwischen ist schon die 3. Serie Gelenkwagen im Einsatz. Diese fahren jedoch nur auf den Linien 2 und 3, die Linie 1 wird von den polnischen 102 N Wagen (?) bedient.
Als ich am vergangenen Mittwoch ein paar Stunden in Landsberg war stellte ich fest, daß z.Zt. nur die Linie 2 in Betrieb ist. Die Linie 1 wird z.Zt.von Bussen bedient, Linie 3 verkehrt nicht.
Interessant ist vielleicht noch, daß man das Stadtwappen mit dem Brandenburger Adler beibehalten hat. Diesem Adler hat der Verkehrsbetrieb eine zünftige Uniform verpasst und macht Werbung z.B für Monatskarten. Diese kostet zur Zeit 70 Zloty, das sind ca 25 Euro und für dortige Verhältnisse nicht gerade billig.
Vor kurzem feierte man 60 Jahre polnischen Strassenbahnbetrieb in Landsberg / Gorzow.
In der Fußgängerzone, der ehem. Wollstrasse hat man einen Nachbau eines alten Strassenbahnwagens aufgestellt, in dem man auch Ansichtskarten und Zeichnungen von der Stadt und der Strassenbahn kaufen kann. Auch das deutsche Wort Landsberg ziert den Wagen. Der Schriftzug lautet: Landsberg 1899 - Gorzow 2006
Ansonsten hat die Stadt noch ein paar nette Parks (sie hieß früher Parkstadt des Ostens), die übrigens sehr gepflegt sind, zu bieten. Sehenswert ist auch die Marienkirche, die bereits im 13. Jahrhundert begonnen wurde. Auch ein Teil der Stadtmauer ist erhalten. Dann gibt es in der Nähe der heutigen Strassenbahnhaltestelle Hozpital noch eine sog. Weiße Kirche, die ehem. Konkordienkirche, deren Turmbau aus den 1840er Jahren stammt. Das ehem. Schleiermacherdenkmal wurde leider von den Polen geschleift, es befand sich unmittelbar neben der Konkordienkirche.
Ja und dann hat Landsberg auch wie Berlin eine Stadtbahn zu bieten. Sie ist natürlich nicht so lang aber die Brückenbögen sind von jenseits der Warthe betrachtet, ein interessantes Bild. Unter diesen Brückenbögen, die man leider nicht wie in Berlin mit Geschäften "bebaut" hat, findet ein großer Polenmarkt statt, wo man eigentlich alles zu kaufen kriegt.
Naja und dann ist da noch die reizvolle Umgebung, mit den sanften Hügeln, Wäldern und einsam gelgegenen Seen. Da braucht man dann aber ein paar Tage und bringt am besten sein Auto oder ein Fahrrad mit.
Lohnenswert sind auch die Schiffsfahrten auf der Warthe nach Zantoch, Santok, die im Sommer 3 x wöchentlich angeboten werden.
Besuchern empfehle ich jedoch dringend, sich ein paar Brocken polnisch anzueignen, denn Deutsch und Englisch spricht dort so gut wie niemand (oder man will es nicht=. Russisch klappt da schon eher. Aber ich habe festgestellt, sobald man versucht, polnisch zu sprechen, gehen auch ein Stück weit die Türen auf - und schließlich ist es ja auch ein Akt der Höflichkeit,finde ich.man wird, gerade als Deutscher, sehr genau beobachtet, wie man sich verhält. Es empfiehlt sich auch ein Wörterbuch mit Reisewortschatz, wo geschrieben steht, wie man die polnischen Wörter spricht.
Schwierig ist auch, daß es auf den Bahnsteigen keine Zugzielanzeiger gibt. Da ist es dann unbedingt erforderlich, jmd auf polnisch fragen zu können, ob das wirklich der richtige Zug ist. Nebenbei spart man auch Geld, wenn man die Karte für den polnischen Teil in Polen kauft. In Kostrzyn kann man auch Zloty tauschen (schräg gegenüber von der Fka im Bf.)
Über die Küstriner Strassenbahn weiß ich leider so gut wie gar nichts. Es gab nur eine Linie, die führte vom Bahnhof Küstrin - Neustadt Hbf (heute Kostrzyn) durch die Altsadt, die Warthe und Oder zum Bf. Küstrin - Altstadt.
Die Altstadt wurde durch Bombenangriffe und beim Einmarsch der Russen anfang Februar 1945 komplett zerstört, sowie weite Teile der Neustadt. Zunächst wollte man Küstrin gar nicht wieder aufbauen und verbrachte daher große Mengen Steine nach Zentralpolen für den dortigen Wiederaufbau. Da aber das Eisenbahnnetz und der Hafen, sowie die Industrieanlagen so gut wie nicht zerstört warenm baute man Küstrin - Neustadt z.T. wieder auf. Eines der wenigen alten Gebäude der Neustadt ist der Bahnhof, der noch fast im Originalzustand ist, einschließlich der verwinkelten Bahnhofstunnel und der niedrigen Perrons.
Strassenbahnwagen sollen während des Krieges nach Bremerhaven und nach Posen gelangt sein, genaues weiß ich nicht.
Im Übrigen gibt es ein sehr interessantes Buch über Küstrin, es ist z.B. im Bf. Friedrichstrasse bei den Verkehrsbüchern zu finden.
Auch über Landsberg gibt es einiges interessantes, leider gibt es kein Buch speziell über die Strassenbahn. Ich habe schon mehrfach überlegt, eines zu schreiben und werde mich demnächst an die BAG Landsberg / Warthe eV wenden, die z.Zt. noch unser Heimatblatt herausgibt.
Ich wünsche Dir, lieber Andreas und allen anderen, die ich nun neugierig gemacht habe, viel Spaß beim Entdecken der schönen ehem. Neumark und der Landsberger Strassenbahn und Landsberg an sich. Übrigens stammt Christa Wolf auch aus Landsberg nur mal so by the way.
Ansonsten könnt ihr mir gerne Emails schicken, ich werde alle Fragen so gut ich kann beantworten und bin auch gerne bereit, ein paar Tips zu geben.
LG an alle!
Thorsten
2 mal bearbeitet. Zuletzt am 05.08.2006 21:46 von Thorsten Bartel.