Olaf Meister schrieb:
Insgesamt würde ich hier drei Kategorien
> aufstellen :
Vieles bei dieser Bewertung ist eine Frage des Betrachtungswinkels - sowohl zeitlich als auch räumlich gesehen. Ich bewerte mal jetzt die hier genannten Kategorien in einem Zeitraum seit etwa 1980 (weil man seither eine spürbare Änderung der ÖPNV-Politik in den meisten Städten beobachten kann) und auf das "westliche" Europa (was heute in etwa der EU enstpricht) bezogen, weil hier die Rahmnenbedingungen in den einzlenen Ländern am stärksten zu denen hierzulande ähneln.
>
> 1. Metropolen mit übergeordnetem
> Schnellbahnsystem
>
> In diesen Städten (i.d.R. > 500.000 Einwohner)
> bestehen U- und/oder S-Bahn-Systeme, die die
> Hauptverkehrsadern bedienen. Die Stadt erzeugt
> zwar große Verkehrsströme, für die Straßenbahn
> bleiben jedoch (abgesehen von evtl. Netzlücken bei
> den Schnellbahnen) nur die zweitrangigen
> Verbindungen übrig,
Diese sog- "zweitrangigen" Verbindungen sind jedoch oft so stark, dass sich der Einsatz von Straßenbahnen sehr wohl lohnt. Die stärkstbelasteten Straßenbahnlinien in Europa finden sich genau in den Städten, die auch über U-Bahnen verfügen.
so dass sich die
> Straßenbahn-Euphorie hier stark in Grenzen hält
Das kann man heute so nicht sagen - wenn man nicht nur auf Deutschland, sondern auf auf EU-Europa blickt (ohne Anspruch auf Vollständigkeit). Gerade in Städten dieses Typs hat in den letzten Jahren eine interessante Entwicklung stattgefunden:
In den letzten Jahren haben folgendende U-Bahn-Städte die Straßenbahn komplett neu eingeführt: Madrid, Barcelona, Valencia, Lyon, Paris, London, Athen, Bilbao
Und folgende EU-U-Bahn-Städte haben ihre Tramnetze ausgebaut (wenn auch in untrerschiedlichem Maß): Berlin, München, Stockholm, Oslo, Prag, Warschau, Amsterdam, Brüssel, Mailand, Rom, Marseille, Helsinki
Ein intensiverer Ersatz von Straßenbahnlinien durch U-Bahnen ist eigentlich nur noch in Wien geplant.
Folglich gibt es nur noch zwei Millionenstädte in Europa ohne Straßenbahn - das sind Kopenhagen und Hamburg.
> 2. Großstädte ohne übergeordnetes
> Schnellbahnsystem
>
> Diese Städte haben zwar aufgrund ihrer Größe auch
> ein erhebliches innerstädtisches
> Verkehrsaufkommen, es ist jedoch kein oder nur ein
> marginales Schnellbahnnetz vorhanden. Da die
> Hauptlast des Verkehrs damit auf die Straßenbahn
> zuläuft, käme auch niemand ernsthaft auf die Idee,
Heute nicht mehr - aber vor wenigen Jahrzehnten hat man auch in Städten dieser Größe komplette und oft sogar noch gut funktionierende Straßenbahnsysteme ausschließlich durch Busse ersetzt - wie z.B. in Spanien, Frankreich, Großbritannien. In Deutschland (West) blieb es bei Einzelfällen - es gibt aber eine ganze Reihe mittelgroßer Städte die ein Straßenbahnsystem sinnvoll einführen könnten. Hierzulande ist jedoch die Entwicklungsdynamik nach der Wiedereinführung in Saarbrücken, Oberhausen und Heilbronn zum Stillstand gekommen. Anders im übrigen EU-Europa - in dieser Kategorie sind die meisten neuen Systeme zu finden. Eine Auswahl, z.T. noch in Bau: Parla, (bei Madrid) Vitoria (Gasteiz, Baskenland) Montpellier, Nizza, Bordeaux (anstelle eines geplanten U-Bahn-Systems), Toulouse (als Ergänzung zur VAL-Metro), Rouen, Strasbourg (ebenso als "Metroersatz"), Mulhouse, Valenciennes, Orleans, Nantes, Birmingham, Sheffield, Nottingham, Messina, Florenz, Palermo, Utrecht, Almada (so richtig? südliche Vororte von Lissabon), Dublin, ...
>
> 3. Mittelstädte mit Straßenbahnsystemen
>
> Städten über die großen Stillegungswellen der 50er
> bis 70er Jahre hinweg halten konnten (was fast
> ausschließlich in den neuen Bundesländern
> geschah), kommen auch heute noch regelmäßig
> Überlegungen auf, diese oft nur kleinen Netze aus
> Kostengründen stillzulegen und durch Busse zu
> ersetzen.
Es gibt eine Reihe von Städten dieser Größe, die von ihrer Stadtstruktur und den Entwicklungsperspektiven bei intelleigenter Netzgestaltung einen wirtschaftlich effizienten Straßenbahnbetrieb aufrechterhalten können. Wichtig ist jedoch hierbei, dass bei dieser Stadtgröße wirklich alle stärkeren Verkehrskorridore mit der Straßenbahn bedient werden, damit sie ihre Potentiale wirtschaftlich ausschöpfen kann. Positive Beispiele für derartige Entwicklungsstrategien sind Zwickau, Gera, Jena, Norrköping (nach jahrzehntelangem Stillstand), Ulm (jetzt endlich), Elbing
Wenn dann eine im 20-Minuten-Takt
> verkehrende Straßenbahn noch (wegen der geringeren
> Kapazität eines Busses) durch eine im 10- oder
> 15-Minuten-Takt verkehrende Buslinie ersetzt wird,
> kann man dies den Bürgern ja sogar noch als
> Verbesserung verkaufen...
Was aber erfahrungsgemäß praktisch auch nicht funktioniert. Das hat zwei Gründe: 1. Man möchte Straßenbahnen stilllegen, um Kosten zu sparen - ein Ersatzbussystem im doppelten Takt sorgt für spürbar erhöhte Betriebskosten, der Spareffekt wäre weg. 2. In den allermeisten Fällen gehen die Fahrgastzahlen nach Umstellung auf Bus (selbst bei vorher miserablem Taktangeobt und geringem Fahrgastniveau) spürbar zurück - der Einsatz kleinerer Fahrzeuge im "alten" Takt reicht (bis vielleicht auf die Schülerspitzen) dann für die "Restfahrgäste" aus.
Viele Grüße
Ingolf