Jay schrieb:
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> Du hast aber eine blühende Phantasie. Berlin ist
> nicht Hamburg und wenn wir etwas über Hamburg
> lesen wollen, dann können wir in das Hamburg-Forum
> gehen.
Es ist immer gut, wenn man eine reiche Phantasie hat; man muss ihre Produkte nur sortieren, ja und manchmal auch verwerfen können. Die beiden größten deutschen Städte haben im Sektor Verkehr immer viel voneinander gelernt. Meistens war Berlin dabei der gebende Teil. Aber durch die tragische Entwicklung Berlins seit dem Krieg, besonders seit Mauer und Stacheldraht, im Bereich des Verkehrssektors war die Anpassung an die Gegebenheiten des modernen Verkehrs gestört - anders in Hamburg. Hamburg musste sich bald mit dem gewaltigen Anschwellen des Individualverkehrs auseinandersetzen. Das führte bei uns zur übereilten Stilllegung der Straßenbahn. Man lernte aber inwischen, dass die Busse auf den früheren Stammlinien der Tram mit ihrer dichten Folge überfüllter Wagen, die reinsten Straßenfresser waren und sind. Jedenfalls sollten wir keine geistige Inzucht treiben und uns im Rahmen der Foren immer wieder austauschen. Nachdem ich insgesamt von den Potsdamer Niederflur-Straßenbahnzügen enttäuscht bin (nicht nur wegen der Risse in den Zellen), würde mich z. B. schon interessieren, wie sich eure andersartigen Fahrzeuge bewähren, auch gerade im Fahrverhalten.
>
> Wenn man die Entwicklung der Berliner Strecken
> prognostizieren will, dann sollte man sich auch
> deren Historie anschauen.
> Wo z.B. sollen die Fahrgäste für den so
> hochgepriesenen Umsteigepunkt am Frankfurter Tor
> herkommen? Wenn endlich die Situation an der
> Warschauer Str. (die derzeit wohl einzig sinnvolle
> U-Bahn"verlängerung") verbessert würde, dann wäre
> bereits viel erreicht. Hier ist die glückliche
> Sutiation, dass S-Bahn und U-Bahn sich gut
> ergänzen und in Wuhletal einen vorbildlichen
> Umsteigepunkt haben. Und ab da gehts mit der
> S-Bahn nunmal schneller in die Innenstadt. Sollte
> man in Wuhletal die U-Bahn mal verpassen, dann
> kann man sie noch immer locker in Lichtenberg
> erreichen. (Ging mir erst am Mittwoch so). Und auf
> der S5 sind noch genügend Kapazitäten frei. Ebenso
> können S75 und S7 noch verstärkt werden. Hingegen
> sollte die BVG endlich mal auf den Bedarf
> reagieren und die M10 auch am Wochenende dichter
> fahren lassen. Wie Ingolf schrieb - der Bedarf
> Richtung Hermannplatz ist da, wird aber
> überhauptnicht gedeckt (bzw. nur umständlich mit
> zweifachem Umsteigen).
Die Verlängerung der Straßenbahn von der Warschauer Straße zum Hermannplatz geht sicherlich völlig in Ordnung. Und ich bin auch dafür, dass die jetzige U-Bahn-Station hinter der Rudolfstraße auf die Warschauer Brücke verlegt wird. Die Konzeption war bereits 1896 falsch; vielleicht hätte man nach 1990 auch noch zwei Jahre länger mit der Weiterfahrt über 'Schlesisches Tor' hinaus warten können und erst einmal die jetzige Endstation neu bauen sollen. Angesichts der Linienbetriebe auf den Hamburger Berührungsstationen zwischen S-Bahn und U-Bahn (namentlich 'Ohlsdorf') kann der Richtungsbetrieb von 'Wuhletal' gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Was mich allerdings wundert, ist Deine Feststellung, dass auf der Stadtbahn noch genug Platz für weitere S-Bahn-Fahrplantrassen sei. Gut, die Züge über den Nord-Ost-Ring biegen nicht mehr über Ostkreuz ein. Aber wenn erst Schönefeld voll ausgebaut ist, dann kommen doch viele neue S-Bahn-Züge über 'Treptower Park' auf die Stadtbahn. Und man sollte durchaus auch an eine Steigerung der Einwohnerzahl Berlins denken - mittelfristig! Es ist gut, dass Du das Umsteigen ansprichst. Da hat man es durch aus schon mit "Verkehrspsychologie" zu tun. Hier bewegt man sich in einem sehr sensiblen Bereich. Hier könnte man einen eigenen mittleren Aufsatz schreiben. So schluckt ein Fahrgast einen kurzen Vor- oder Nachlauf eher als ein Umsteigen mitten in seiner Fahrtroute. Wenn er z. B bei einer Fahrt ohne Umsteigen fünf Minuten länger braucht als bei einer mit Linienwechsel, dann nimmt er eher die etwas längere Fahrtzeit in Kauf. Das gilt ganz besonders, wenn er für eine nicht ganz kurze Weiterfahrt in einen mehr oder weniger voll besetzten Zug steigen muss. Der Pendler dürfte auch eher einen etwas längeren Weg von seiner Wohnung zu seiner Schnellbahnstation akzeptieren als einen von seiner Zielstation zu seinem Arbeitsplatz. All diese Dinge sind bei der Schnellbahnplanung feinfühlig zu berücksichtigen! Auch in dieser Hinsicht ist der Umsteigepunkt 'Wuhletal' von "Beförderungsfall" zu "Beförderungsfall" zu bewerten. In einer Hinsicht haben wir in Hamburg zwischen den Kriegen Lehrgeld zahlen müssen: Wir hatten die nach dem Zweiten Weltkrieg aus gutem Grund (auch etwa verspätet) nicht wiederaufgebaute Hochbahnstrecke Hauptbahnhof - Rothenburgsort. Sie führte durch die damals am dichtesten bebauten Stadtviertel Hamburgs, nämlich Hammerbrook und Rothenburgsort. Dennoch fuhren hier außerhalb der Spitzenstunden Ein-Wagen-Züge! Wieso das? Unterhalb der Viadukte wimmelte es nur so von Linien der Straßenbahn. Und diese war ja damals noch "Queen" auf den Straßen. Da liefen die Bürger doch lieber vielleicht 200m zu deren Haltestelle während sie zur U-Bahn (Hochbahn dort) vielleicht 500m zu laufen hatten, um dort noch einmal eine Treppe hochsteigen zu müssen ('Spaldingstraße' sogar doppelte Höhenlage). Auch in der Mönckebergstraße mussten sie dann noch einmal aus der einfachen Tiefenlage hochmarschieren. Dann hatte man eben mit der Tram eine zwar um etwa 4 Minuten längere, aber eben doch bequemere Fahrt! Auch dieses ist ein Beispiel dafür wie eine Stadt von der anderen lernen kann.
Grundsätzlich ist die Stadtschnellbahn in Millionenstädten für die Überwindung größerer Distanzen vorzusehen - mit auch einem größeren Stationsabstand. Die Straßenbahn sollte die Funktion des Feinverteilers im engeren Häusermeer übernehmen und der Bus die im schütteren Bereich der Vororte (auch für den Querverkehr)! Dabei kann man eine Faustregel aufstellen: Auf einen Stadtschnellbahn-Stationsabstand sollten zwei bis drei Tramhaltestellen kommen. Wenn in einer Stadt irgendwo XXL-Zwei-Gelenk-Busse (gar noch im Wenige-Minuten-Takt) verkehren, dann stimmt dort etwas nicht! Die Verbindung ist im Mindesten reif für eine Straßenbahn, wenn im Einzelfall nicht sogar für eine Stadtschnellbahn)!
> Wem nutzt ein Umsteigepunkt am Mexikoplatz? Fast
> ausschließlich Leuten die zur FU wollen. Wer von
> Potsdam in die "City" will, der fährt RE1 oder S7.
> Mit der S1 erreicht man den Potsdamer Platz. Das
> Manko hier - es fehlt ein Umsteigepunkt zwischen
> S1, S2, S25 und der U1 im Bereich
> Gleisdreieck-Möckernbrücke.
> Und auch in Spandau ist nicht erkennbar, warum die
> U2 nun unbedingt verlängert werden muss. Die
> S-Bahn ist leer. Aber sie ist schneller am Zoo als
> die U2. Auch hier haben wir die RE, die den
> "Schnellstverkehr" abräumen.
Dieser Dein Absatz ist sehr inhaltsreich. Es gibt jedenfalls außer der FU eine ganze Reihe von Plätzen an der U1 mit ausreichender Fahrgastfrequenz, die mit der S7 oder gar mit dem RE nicht so gut angefahren werden! Außerdem ist auch an die Fahrgäste zwischen Babelsberg und Schlachtensee zu denken, die nicht direkt in den RE einsteigen können. Das Manko: Selbst wenn man davon ausgeht, dass entweder 'Gleisdreieck' oder Möckernbrücke vom neuen S-Bahnhof angesteuert werden würden, dann wäre ein zwischengeschalteter S-Bahnhof wegen der geringen Abtände zu 'Yorckstraße' und 'Anhalter Bahnhof' nicht empfehlenswert. Die Wannseebahn hat doch bis Zehlendorf schon die geringsten Stationsabstände im S-Bahn-Netz. Jay, das ist für mich das "Berliner Leiden", dass durch immer wieder erfolgendes Dazwischenschalten von neuen Haltepunkten die Schnellbahnlinien "trambahnifiziert" werden - oder "entschnellbahnifiziert"! Dafür haben wir doch die Verteiler-Verkehrsmittel! In Hamburg haben wir mit der Flughafen-S-Bahn (Abstand zu Ohlsdorf rund 3km) und der U4 zur HafenCity (über 2km) gerade den umgekehrten Spleen! Dazwischen liegt die Wahrheit. Übrigens, interessant ist insoweit auch das Moskauer Metro-Netz mit seinen relativ großen Stationsabständen!
Ja, dann ist da noch die Sache mit den RE. Mit diesen Zügen haben wir in der Metrolregion Hamburg wohl dieselben Probleme wie in der von Berlin. Weißt du, Jay, wenn diese Züge die der S-Bahn in merklichem Umfang konkurrenzieren, dann stimmt etwas im System nicht. Wenn wir in Hamurg im Oberflächenverkehr meinen, etwas schneller und auch bequemer vorankommen zu sollen, dann fahren wir mit dem "Schnell-Bus" und zahlen dafür eine Zuschlag, der dem für die 1. Klasse entspricht. Die Fahrt im schnellen und bequemen RE bekommen wir - mit allen Folgen für die Siedlungspolitik zum Normaltarif "nachgeworfen"! Noch nach dem Kriege gab es (jedenfalls in der BRD) den Personenzug-Tarif als Standard. Wenn man mit dem Eilzug fahren wollte, zahlte man den Eilzugzuschlag. Für den Massenverkehr auf den hochausgelasteten S-Bahn-Strecken in Berlin und auch Hamburg bekamen wir einen deutlich günstigeren S-Bahn-Tarif. Ich vertrete auch hochkarätigen Eisenbahnern und Verkehrspolitikern gegenüber ganz offen die Meinung, dass zwischen der Fahrt mit dem RE und dem auf der S-Bahn ein Preissprung liegen müsste. Dann könnte sich beispielsweise der Oranienburger einmal überlegen, ob er mit dem RE etwas teurer aber dafür schneller und bequemer (Wagen-Ausstattung) zum Berliner Hauptbahnhof fahren will oder lieber etwas preisgünstiger, aber dafür langsamer und nicht ganz so komfortabel mit einem S-Bahn-Zug. Das würde deutlich auf die Verkehrsströme einwirken und so die Auslastungsprobleme bei der S-Bahn beseitigen. Was wir heute haben, ist die Quer-Subventionierung der RE-Züge aus dem Massenverkehr der S-Bahn. Ich will zu Berlin - Potsdam nicht das Letzte sagen. Wenn aber z.B. die Regional-Express-Züge Lübeck - Hamburg eine spätere S-Bahn nicht konkurrenzieren, dann könnte man bei dieser Strecke mit besonderer Fern-S-Bahn-Funktion darüber nachdenken, ob man den Fahrgästen, die über die volle Distanz fahren, nicht einen Nachlass herunter bis auf den HVV-Regeltarif gewährt. Dieser dürfte dann aber nicht für die Reisenden der RE-Zwischen-Stationen 'Bad Oldesloe' und 'Ahrensburg' gelten. Die Lübeck-Büchener Eisenbahn wie später DR und DB ließen die 'Städte-Schnellverkehrszüge' zwischen Hamburg und Lübeck tariflich als Personenzüge laufen.
>
> Zuerst einmal gilt es die aktuellen Probleme zu
> lösen, bevor die von übermorgen überhaupt relevant
> werden. Der Ausbau der Straßenbahn ist ein
> Armutszeugnis. Wichtige Lückenschlüsse die relativ
> günstig einen großen Effekt hätten sind
> zurückgestellt bzw. wie im Fall Invalidenstr.
> stark verzögert. Zudem hat die BVG die Sanierung
> der vorhandenen U-Bahntunnel zu stemmen. Eine
> Sache, die die ganzen U-Strabnetze auch noch
> irgendwann zu spüren bekommen werden.
Das "Straßenbahnproblem" in der Invalidenstraße kann ich auch nicht nachvollziehen. Angesichts des neuen Hauptbahnhofes ist es ein Unding! Inwieweit die BVG (anders als die 'Hamburger Hochbahn AG' eine Anstalt des öffentlichen Rechts, also ein Eigenbetrieb der Stadt Berlin) die Erneuerung der vorhandenen Tunnel zu stemmen hat, kann ich nicht sagen. In Hamburg ist dafür das Liegenschaftsamt der 'Freien und Hansestadt Hamburg' als Organ des Eigentümers, eben der Stadt, zuständig und nicht etwa die Aktiengesellschaft 'HHA'. Die HHA ist erst für den Schotter und alles was dem folgt zuständig - bis zum Wagenpark. Nebenbei, die Aktien der HHA dürften mittlerweile ganz im Besitz Hamburgs sein! Insofern ist die HHA auch voll staatlich! Meines Wissens haben wir in Hamburg bei unserer zehn Jahre jüngeren U-Bahn noch keine wesentlichen Tunnel-Verschleißprobleme. Nur die Viadukte und Brücken werden überholt und jene auch gänzlich erneuert - diese zum großen Teil. Es ist natürlich klar, dass das nettozahlende Land Hamburg (Bundesausgleich) nicht die Finanzierungsprobleme wie das überschuldete Berlin hat. Da bin ich aber der Auffassung, dass Berlin, das in der Teilungszeit förmlich ausgesplündert wurde (Siemens und AEG). einen wesentlich größeren Anspruch auf Bundesförderung hat als bisher!!!
Vielleicht ist man beim Bau der U-Strab-Tunnel mehr als ein halbes Jahrundert später als in Berlin und Hamburg in der Bautechnik wesentlich weiter als am Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts, so dass die Tunnels heute ganz wesenlich verschleißfester sind als die alten. Wo werden denn heute noch Tunnels mit Stahlträger-Rahmen und preußischen Kappen gebaut?!
>
> Zum Schluss noch ein kurzer Abstecher zum Thema
> Tempelhof: Das wurde in den 90er Jahren
> entschieden. Die jetzige Regierung setzt jene
> Entscheidungen um. Zudem ist die Entscheidung des
> Bundesverwaltungsgerichts eindeutig bezüglich der
> Schließung, weswegen eine Offenhaltung Rechtsbruch
> darstellen würde. Das kann man entweder
> akzeptieren, oder wie Herr F. Pflüger leugnen -
> ändern tut sich daran nix.
> Im übrigen brauche ich nach Tempelhof 26 Minuten
> reine Fahrzeit, nach Schönefeld sinds mit RE 31,
> mit S-Bahn 41. Und nach Tempelhof muss ich in
> Stadtmitte umsteigen... Da 2001 offenbar nicht
> ausgereicht hat brauchen wir wohl mal ein
> richtiges Flugzeugunglück (oder ein paar
> Terroristen) damit einige Leute bezüglich
> Tempelhof mal aufwachen.
Den Opfern ist es wohl gleichgültig, ob sie von einem aus 10km Höhe abstürzenden Flugzeug getroffen werden oder von einem startenden. In Hamburg-Fuhlsbüttel verlaufen die Landeanflüge und die Starts auch über relativ dicht bebaute Stadtviertel und nicht über Einöden. Wenn auch zugegebenermaßen ein Absturz über Neukölln die größere Katastrophe darstellen würde. Bei der heutigen Sicherheit im Luftverkehr mit europäischen, nordamerikanischen und ostasiatischen Machinen ist das Risko sozialadäquat! Was den Terrorismus an betrifft, ist zu sagen, dass der Autoverkehr in Deutschland ganz wesentlich mehr Opfer erfordert! Ich meine, man sollte jenen nicht mit in Überlegungen zu Tempelhof einbeziehen. Das gilt gerade bei den Flugzeugen minderer Größe, die für Terroristen nicht so interessant sind.
>
> Edit: Könnte Sarkasmus enthalten. ;)
Mit freundlichem Gruß
Willy Laaser