Drstar, mich nervt dieses undifferenzierte Gemecker. Es ist absurd, dass du die "Krise" 2009 der nun endgültig erfolgten Hochsetzung der Maximallaufleistung in Kilometern zwischen zwei "Hauptuntersuchungen" anlastest. Wie im Artikel der Berliner Zeitung zu lesen ist,
kam die Idee für diese Heraufsetzung erst von der neuen Geschäftsführung, die im Zuge der Krise 2009 eingesetzt wurde, um die Probleme zu lösen!!!
Die "Erst"-Krise 2009 hatte mehrere Gründe. Das lässt sich in dem dazu erstellten, öffentlichen Untersuchungsbericht nachlesen:
- Zunächst mal gab es Werkstoffmängel an den Radsätzen der BR 481, die zu schweren, sicherheitsrelevanten Schäden führten, die die S-Bahn Berlin GmbH damals gegenüber der Aufsichtsbehörde weitgehend zu vertuschen versuchte.
- Die Wartungskapazitäten - vor allem in der betriebsnahen, aber auch in der schweren Instandhaltung - waren erheblich zurückgefahren worden. Die Werke Friedrichsfelde und Erkner waren geschlossen worden. Während der Werksaufenthalte der Fahrzeuge wurde auf Veranlassung des Managements nicht mehr das erforderliche Wartungsprogramm durchgeführt, Verschleißteile wurden nicht nachbestellt und folglich regelmäßig nicht gewechselt. Veränderte, ungeeignete Wartungsmethoden führten zu zusätzlichen Problemen (z.B. Problematik der angebohrten Bremszylinder). Das damals propagierte "instandhaltungslose Fahren" bezog sich meines Erachtens vor allem auf die laufende Wartung im Betrieb, nichtsdestotrotz war auch die Hauptwerkstatt Schöneweide natürlich radikal zusammengestrichen worden. Die gesetzlich vorgeschriebenen "Hauptuntersuchungen", um die es ja in der derzeitigen Debatte geht, wurden sicherlich dennoch durchgeführt. Das wird durch die Aufsichtsbehörde überwacht, soweit ich weiß.
- Es gab keinerlei Fahrzeugreserven mehr.
- Als dann infolge der oben genannten Werkstoffprobleme bei der BR 481 im Frühsommer 2009 häufigere Prüfungen der Radsätze erforderlich wurden, wurden zunächst die Stammzuggruppen der S1 und S2 auf Dreiviertelzüge gekürzt. Erst danach kam es meiner Erinnerung nach zu dem fatalen Radscheibenbruch an einem Leerzug in Kaulsdorf, woraufhin das Eisenbahnbundesamt Ultraschallprüfungen der Radsätze in sehr kurzen Abständen forderte, die zu dem ersten Beinahe-Zusammenbruch des Betriebs und den Notfahrplänen führten. Die erforderlichen Werksaufenthalte mussten zunächst einmal geplant werden, zusätzliches Personal musste rekrutiert und geschult werden, die erforderlichen Ultraschall-Prüfstände überhaupt erst aufgebaut werden. Währenddessen fuhren kaum Züge.
- Es kamen dann noch weitere Problematiken dazu, die das Anhalten der Krise und im Winter chaotische Zustände bedingten:
- Folgen des Auffahrunfalls in Südkreuz 2011 - Erkenntnis, dass die Bremsanlage der BR 481 ungenügend ist, Reduzierung der Höchstgeschwindigkeit - Besandungsproblematik, Füllstandsüberprüfungen Sandbehälter, Entwicklung einer Fallrohrbeheizung, technischen Funktions- und Füllstandskontrolle für die Besandungsanlage
- Im Winter sind die erforderlichen Ultraschallprüfungen der Radsätze der BR 481 erschwert, weil die zu prüfenden Bauteile dafür nicht eiskalt sein dürfen. Teilweise konnten die Überprüfungen also nicht durchgeführt werden und die Fahrzeuge konnten nicht wieder eingesetzt werden.
- allgemeine technische Probleme der BR 481 im Winter und Hochsommer
- Dazu kamen dann noch Probleme mit der BR 485 (Wagenkastenrisse, S-Bahn hatte eigenmächtig neue Radsatzbauart eingebaut), die zeitweise zu einem totalen Stillstand dieser Baureihe führten.
- usw. usf.
In den Jahren vor der Krise war die S-Bahn in der DB Stadtverkehr organisiert. Im Wesentlichen war dieser Unternehmenszweig für Busverkehre zuständig (bzw. dafür, mit ihnen fette Gewinne zu machen). Es gab offenbar so gut wie keinen Technologietransfer mit der Zentrale und keine Überwachung, was die Einhaltung des Stands der Technik angeht.
Das ist jetzt, da die S-Bahn zu DB Regio gehört, sehr anders. Seit der Krise wird seitens des Konzerns penibel auf die Einhaltung von technischen Vorschriften und Normen geachtet. Es gibt - mehr oder weniger - genug Werke und genug Instandhaltungspersonal, die betriebsnahe Instandhaltung funktioniert akzeptabel. Ich will nicht sagen, dass da nicht sehr, sehr, sehr viel Luft nach oben wäre. Gewinngeil ist man nach wie vor. Aber die Situation heute mit 2008/09 zu vergleichen, ist völlig unangebracht.
Ich kann nur nochmals dafür werben, es sich nicht so einfach zu machen. Einfache Erklärungen für komplexe Zusammenhänge taugen in der Regel nichts.
Die gerade erfolgte pauschale Erhöhung der Laufleistungsfrist vor "Hauptuntersuchung" halte ich wie bereits in meinem letzten Beitrag geschrieben jedenfalls für vertretbar, solange die betriebsnahe Instandhaltung weiterhin ordentlich gemacht wird.
Ein Hauptproblem der Berliner S-Bahn ist heute, dass die Fahrzeuge wegen der zahlreichen Wehwehchen ständig in die Werkstatt müssen. Daraus reduziert auch die immer wieder kritisierte niedrige Einsatzquote der Fahrzeuge bzw. die hohe Instandhaltungsreserve. Wobei sie so hoch auch nicht ist, gemessen an der hohen Laufleistung, die die Fahrzeuge auf vielen Linien täglich erreichen - gegenüber "alten" Zeiten wurden die Wendezeiten vielerorts reduziert, auf den Stammzuggruppen fahren die Züge oft 21 von 24 Stunden am Tag, am Wochenende durchgehend.
2009 war wohl für die neue Geschäftsführung absehbar, dass mit den Bestandsfahrzeugen bis zum Ende ihrer Lebensdauer häufige Werksaufenthalte die Regel sein werden. Gleichzeitig müssen die Verkehrsleistungen irgendwie erbracht werden, dafür müssen die Fahrzeuge hohe Laufleistungen erbringen. Also versucht man, die maximale Laufleistung zwischen zwei Hauptuntersuchungen zu erhöhen, denn die Fahrzeuge sind ja für die betriebsnahe Wartung eh ständig im Werk. Der Nachweis gleicher Sicherheit für die Laufleistungserhöhung, der in solchen Fällen vom EBA gefordert wird, gelingt. Damit kann die Anpassung als sicher gelten, die EBA-Ingenieure wollen nicht im Knast landen. Nun erspart man sich also noch zwei aufwändige Inspektionen des Fahrzeugs "kurz" vor der eigentlichen Hauptuntersuchung, die während der Nachweisperiode für das neue Verfahren noch erforderlich waren, und kann damit die Fahrzeuge stattdessen im Betrieb einsetzen.
Diese zwei nun wegfallenden Inspektionen sind nach meinem Verständnis seit 2009 bis heute immer zusätzlich zur ohnehin regelmäßig erfolgenden betriebsnahen Wartung gewesen. Insofern ist das alles recht unproblematisch.