Defensive Architektur im ÖPNV 05.08.2023 10:52 |
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Thomas
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Philipp Borchert am 5.8.2023 um 9.54 Uhr:
[...] Dass an den Vierer-Sitz"bänken" nicht diese widerwärtigen (und zudem blöd aussehenden) Menschenvergrämer installiert wurden, die man mittlerweile an vielen bislang völlig unauffälligen Haltestellen im ganzen Stadtgebiet findet.
Der fragende Abgeordnete nannte sie "Defensive Architektur", die BVG und die DB kannten diesen Ausdruck nicht und beriefen sich auf Regelwerke.
Re: Defensive Architektur im ÖPNV 05.08.2023 12:32 |
Re: Defensive Architektur im ÖPNV 05.08.2023 13:48 |
Re: Defensive Architektur im ÖPNV 05.08.2023 14:10 |
Re: Defensive Architektur im ÖPNV 05.08.2023 14:15 |
Re: Defensive Architektur im ÖPNV 05.08.2023 14:47 |
Re: Defensive Architektur im ÖPNV 05.08.2023 15:02 |
Re: Defensive Architektur im ÖPNV 05.08.2023 16:12 |
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Philipp Borchert
Zunächst möchte ich den unterschwellig durchaus konstruierbaren Gedanken von mir weisen, das Thema aufgrund eines Trends in den Raum zu werfen. Es fiel mir spontan bei der Ausstattung der Turmstraße-Haltestellen auf, da gleichzeitig an vielen anderen Stationen die genannte Maßnahme umgesetzt wird.
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Philipp Borchert
Dann gleich zu genau dieser - nämlich diesen Zwischendingern an den Sitzgruppen. Es bleibt nach wie vor die Frage im Raum, weshalb es stets nur ein einziger ist und nicht zwischen alle Sitze so ein Ding gebaut wird. Ein allzu großer Kostenfaktor wird diese recht primitive Konstruktion ja wohl hoffentlich nicht sein.
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Philipp Borchert
Ich bin davon überzeugt, dass die BVG hier "Barrierefreiheit" nur als sekundären Grund für die Dinger sieht, ansonsten würde sie mehr davon installieren. Auch die sonst so beliebte mediale Begleitung von Maßnahmen zur Barrierefreiheit fehlt vollständig. Dass die Dinger eine deutlich wahrnehmbare Distanz schaffen können, halte ich für einen sehr theoretischen Gedankengang. Distanz schafft Distanz. Eine Wand könnte diesen Zweck auch noch erfüllen. Aber diese kleinen Bügel kaum.
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Philipp Borchert
Die missbräuchliche Verwendung ist natürlich schwierig zu handhaben. Bei den Bügeln greift auch nicht die "Lieber gleich für alle scheiße..."-Nummer wie bei der generell verhinderten Möglichkeit, sich zu setzen. Vor dem ganz großen Ziel bleibt also eigentlich nur Vergrämung oder das Schaffen von Alternativen, die aber auch wirklich welche sind. Ich war noch nie in einer Obdachlosenunterkunft, aber ich wüsste nicht sicher ob ein kleines Zimmer, in dem mehrere Leute innerhalb eines Klientels nächtigen tatsächlich eine gute Alternative zum Schlafen auf 'ner Bank im großräumigen U-Bahnhof mit guter Durchlüftung ist.
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Philipp Borchert
Davon abgesehen scheint mir vieles an defensiver Architektur sich aber generell gegen Menschen zu richten, auch gegen jene, die nicht auf der Straße leben. So erinnere ich mich, dass vor dem Lidl im Nürnberger Hauptbahnhof an Pflanzkübeln mit breitem Rand so Holzteile gestellt wurden, damit auch ja kein Zentimeter davon als Fläche nutzbar ist. Es gibt dort aber auch sonst keine Möglichkeit, seinen Kram mal irgendwo hin zu stellen, um ihn dann in Ruhe in den Rucksack zu packen. Ein persönliches Ding von mir - möglich, dass viele das gut finden - ist der Einsatz von überengagierten Hilfssherriffs (aka private Sicherheitsdienste), die zwar vor allem bei Konflikten helfen sollen, aber gern auch bei völlig harmlosen Dingen mahnend eingreifen um Macht zu signalisieren. Die gehören für mich zur defensiven Architektur dazu. Sie schrecken vor allem harmlose Leute ab, denn jene, die auf Stress aus sind, werden mit denen kein Problem haben.
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Philipp Borchert
Obdachlosigkeit ganz abzuschaffen ist ein gewaltiges Ziel, das viele verschiedene Ansätze gleichzeitig braucht. Ich halte den Blick nach Finnland auch nicht für nötig, denn Überlegungen, wie man Obdachlosigkeit beendet, gibt es sicherlich überall, wo sie auftritt, auch hierzulande. Dass die Finnen einen menschlichen Weg finden und umsetzen, ist angesichts deren Rechtsruck auch nicht unbedingt in Stein gemeißelt - vielleicht verbietet man es ja einfach. Aber selbst wenn mit humanen Mitteln gearbeitet wird, ist das ein derart langer Prozess, dass kurzfristig und verhältnismäßig einfach umzusetzende Erleichterungen für Leute, die auf der Straße leben, doch wohl nach wie vor gefordert und umgesetzt werden sollten.
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Philipp Borchert
- Von sämtlichen defensiven Maßnahmen, die auch Nachteile für alle anderen schaffen, sollte dringendst Abstand genommen werden. Das betrifft verhinderte Sitzmöglichkeiten bei gleichzeitig zu wenigen regulären, zu hoch aufgehängte Mülleimer, unschöne Musik, zu grelles Licht und gruselige Security-Leute zu Ungunsten der Aufenthaltsqualität, schräg aufgehängte WC-Becken...na, was es nicht so alles gibt.
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Philipp Borchert
- Wenn wer in der Öffentlichkeit wohnt und nicht gerade in eigener Suhle verweilt - seid keine Schneeflöckchen und lasst Euch davon nicht von der Nutzung des ÖPNV abhalten!
Re: Defensive Architektur im ÖPNV 05.08.2023 16:13 |
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marc-j
Ich finde auch, dass man eine verfehlte Sozial- bzw. Obdachlosigkeitspolitik nicht auf den ÖPNV abwälzen kann. Wie verrückt ist es eigentlich, dass es eine Schlagzeile war, als Obdachlose nicht in den U-Bahnhöfen übernachten durften. Wie kann das überhaupt Aufgabe der BVG sein, im Winter (mit) dafür zu sorgen, dass Obdachlose nicht erfrieren?
Re: Defensive Architektur im ÖPNV 05.08.2023 16:20 |
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Leyla
Dazu gehört alles, vom einfachen Verweigern das Fahrzeug an der Endstation verlassen zu wollen, mangelnde Hygiene, bis hin zum Verteilen aller erdenkbaren Körperflüssigkeiten (auch Masturbieren), zum Rauchen, Drogen nehmen, zum Belagern von Betriebsflächen (Brandschutz), Flaschen- und Kippensammeln in Gleisanlagen, etc.
Re: Defensive Architektur im ÖPNV 05.08.2023 16:25 |
Re: Defensive Architektur im ÖPNV 05.08.2023 16:26 |
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Philipp Borchert
"Mit den Bügeln kommen wir einem vielfachen Wunsch und Bedürfnis gerade älterer Fahrgäste entgegen, die gerne eine Möglichkeit haben, sich beim Aufstehen abzustützen. Auch wünschen viele Fahrgäste einen Abstand zu den nebensitzenden Personen."
...insofern nur wenig Sinn, da von diesen Bügeln stets nur ein einziger je Sitzgruppe installiert wird.
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Philipp Borchert
ür die Mülleimer ist ja meist die BSR zuständig. Was die für eine Strategie fährt, ist mir nicht ganz klar.
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Philipp Borchert
Dass man das ganze auch anders herum denken kann, zeigt unser derzeitiges Toilettenkonzept. Weil gerade Typen nicht bereit sind, für die WC-Nutzung zu zahlen und Obdachlosen dies gar nicht erst möglich ist, lädt nun ein nicht unerheblicher Teil der automatischen WC-Anlagen entgeltfrei zur Nutzung ein. Übrigens ein hoch effizientes Mittel, um eines der größten Ärgernisse für viele ÖPNV-Nutzer, die aus der missbräuchlichen Nutzung des ÖPNV entstehen, deutlich zu lindern.
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Philipp Borchert
Alles in allem ein spannendes, aber auch - in meinen Augen - höchst unerfreuliches Thema.
Re: Defensive Architektur im ÖPNV 05.08.2023 16:29 |
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VvJ-Ente
Man könnte das Problem doch angehen, in dem man geeignetere Übernachtungsmöglichkeiten anbietet. Es gibt so viele öffentliche Gebäude, in denen nachts kein Betrieb ist. Rathäuser, Ministerien, Senatsverwaltungen, Arbeitsagenturen, Opernhäuser, Sportstätten, Bibliotheken,... Alle geheizt bzw. im Sommer wenigstens teilweise klimatisiert. Offen lassen, Wachschutz ist meist ohnehin vorhanden, und fertig.
Re: Defensive Architektur im ÖPNV 05.08.2023 16:45 |
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PassusDuriusculus
Und wie so oft bleibt mir nichts anderes übrig, als def umfänglich zuzustimmen.
Re: Defensive Architektur im ÖPNV 05.08.2023 17:09 |
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def
Wie im weiteren Diskussionsverlauf schon von anderen gesagt wurde: es ist halt nicht primäre Aufgabe eines U-Bahnhofs, eine gute Übernachtungsmöglichkeit zu bieten, zumindest nicht im Berlin des Jahres 2023 (im Kyiv des Jahres 2023 oder im Berlin des Jahres 1943 sieht bzw. sah das leider anders aus).
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def
Es gibt ja durchaus auch Gründe dagegen: warum sollten Paare z.B. nicht nebeneinandersitzen, ohne Metallbügel dazwischen? Auch für etwas beleibtere Menschen ist es ohne sie bequemer. Insofern: wieso nicht beides anbieten und jedem und jeder die Wahl lassen? (...) Ich könnte mir aber vorstellen, dass beide Gründe ähnlich gewichtet sind - auch in Bussen werden ja schon seit 10, 20 Jahren an einigen Sitzen Armlehnen angebracht, die Bügel an den Haltestellensitzen dürften Folge eines ähnlichen Gedankenganges sein.
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Alter Köpenicker
Und wie bekommt diese Maßnahme den WC-Anlagen? Ich habe in Basel die Erfahrung gemacht, daß dort kein einziges WC mehr nutzbar ist, seit die kostenlose Nutzung möglich ist.
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Alter Köpenicker
Wenn ich in der Situation wäre, würde ich mich irgendwo im Wald, in der Nähe eines Gewässers und fernab der Zivilisation niederlassen und etwas schönes herrichten.
Re: Defensive Architektur im ÖPNV 05.08.2023 17:23 |
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Philipp Borchert
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Alter Köpenicker
Und wie bekommt diese Maßnahme den WC-Anlagen? Ich habe in Basel die Erfahrung gemacht, daß dort kein einziges WC mehr nutzbar ist, seit die kostenlose Nutzung möglich ist.
Bislang habe ich keine negativeren Erfahrungen bezüglich der Sauberkeit/Zuverlässigkeit der Anlagen gegenüber dem vorherigen Betriebsmodell machen können. Allerdings ist die Chance, dass ein WC besetzt ist natürlich deutlich höher, da wo es kostenfrei ist und ein lebendiges Drumherum herrscht. Die Anlage auf dem Hermannplatz kann man seither eigentlich vergessen. Ob auch aufgrund des Zustandes - weiß ich nicht. Dafür sind die Anlagen, in denen man nur noch digital bezahlen kann, geringer als zuvor nachgefragt.
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Philipp Borchert
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Alter Köpenicker
Wenn ich in der Situation wäre, würde ich mich irgendwo im Wald, in der Nähe eines Gewässers und fernab der Zivilisation niederlassen und etwas schönes herrichten.
Manche tun das ja auch. Habe letztens erst jemanden zelten sehen - mitten auf dem Gelände des Campus Buch. Die Innenstadt bietet natürlich mehr überdachte Bereiche und eben die subjektive Sicherheit durch die (wenn auch zuweilen träge und zurückhaltend, ich nehme mich da keinesfalls aus) Bevölkerung sowie die größere Chance auf Spenden. Zudem hält die Natur ja auch Gefahren bereit (Wetter, unangenehmes Kleinviehzeug, Astabbrüche, Löwen...).
Re: Defensive Architektur im ÖPNV 05.08.2023 17:30 |
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Nordender
Eine Kassierin sagte mir auf Nachfrage "die haben wir weggemacht wegen der Penner".
Re: Defensive Architektur im ÖPNV 05.08.2023 17:55 |
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Philipp Borchert
Die Innenstadt bietet natürlich mehr überdachte Bereiche und eben die subjektive Sicherheit durch die (wenn auch zuweilen träge und zurückhaltend, ich nehme mich da keinesfalls aus) Bevölkerung
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Philipp Borchert
sowie die größere Chance auf Spenden.
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Philipp Borchert
Zudem hält die Natur ja auch Gefahren bereit (Wetter, unangenehmes Kleinviehzeug, Astabbrüche, Löwen...).
Re: Defensive Architektur im ÖPNV 05.08.2023 18:09 |
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def
meine These ist noch, dass man sich dort irgendwie noch am ehesten als Teil der Gesellschaft fühlt - auch ein:e Obdachlose:r kann ja das Bedürfnis haben, unter Menschen zu sein.
Re: Defensive Architektur im ÖPNV 05.08.2023 18:31 |
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Alter Köpenicker
Von der Sache her hat doch so ein Obdachloser mehr zum verbraten, als ein Wohnungsmieter, der ebenfalls Bürgergeld bezieht und davon auch noch Strom und Versicherungen bezahlen muß. Nur für Speis und Trank brauche ich jedenfalls keine 500 Euro im Monat - da könnte ich noch etwas sparen.