Willkommen! Einloggen Ein neues Profil erzeugen

erweitert
Reform der Standardisierten Bewertung noch in diesem Jahr?
geschrieben von Marienfelde 
"Vielen Fachleuten gilt sie inzwischen als entscheidender Bremser der Verkehrswende: die Standardisierte Bewertung. Mit dem Instrument wird ermittelt, ob neue Straßen- und U-Bahnen volkswirtschaftlich sinnvoll sind.

Nur bei einem Wert über 1 können Vorhaben vom Bund mit Mitteln des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) gefördert werden."

Die Kriterien der Standardisierten Bewertung gelten aber allgemein als veraltet.

"In einem Brief hat Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) den Ländern am 25. Mai die Grundzüge einer reformierten Standardisierten Bewertung mitgeteilt.

(...) Vier neue Grundsätze sollen nun dafür sorgen, dass für die Verkehrswende wichtige Vorhaben auch wirklich gebaut werden können. So wird die volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung reformiert. Angedacht ist, dass der Schaden von Autoabgasen höher gewichtet wird.

Zusätzlich soll es eine Nutzwertanalyse geben. Dadurch sollen „nicht monetarisierbare Nutzenkomponenten aus den Bereichen Nachhaltigkeit im Verkehr, Daseinsvorsorge oder Klimaschutz angemessen Berücksichtigung finden“, heißt es in dem Schreiben.

Die Kosten für den Brandschutz und die barrierefreie Gestaltung von Haltestellen und Bahnhöfen werden nicht mehr negativ angerechnet. Wenn der magische Schwellenwert von 1 knapp verfehlt wird, sollen Projekte vom Bund zumindest teilweise gefördert werden können, wenn Länder und Kommunen einen höheren Eigenanteil übernehmen.

Wenn ein Projekt – etwa die Renovierung von bestehenden Strecken im laufenden Betrieb – in vielen Einzelvorhaben umgesetzt werden muss, sollen diese zukünftig gemeinsam betrachtet werden. So dürften diese Vorhaben eher einen volkswirtschaftlichen Nutzen erzielen."

Die neue Standardisierte Bewertung soll Ende 2021 (!) kommen. "Doch schon jetzt können die Länder auf der Basis der nun mitgeteilten Grundzüge Projekte anmelden, die bisher den Kosten-Nutzen-Check nicht bestanden haben. (Kursivdruck durch mich)"

Dies ergibt sich aus einem Artikel von Caspar Schwietering im Berliner Tagesspiegel, hier noch ein Link dazu: [www.tagesspiegel.de]



1 mal bearbeitet. Zuletzt am 13.06.2021 19:12 von Marienfelde.
Interessant, also wird eine komplexe und teure Erschließung durch Fördertechnik bei Tunnel-Stationen und sämtliche Brandschutzmaßnahmen aller Tunnelstrecken (vmtl. inklusive Notausstiege) nicht mehr in die Kosten im Sinne der NKU einfließen. Das kann schon den Ausschlag geben.

Da kann man bei den Kosten natürlich mauscheln und schieben. Das wird lustig. Es werden dann wohl deutlich mehr unterirdische U-Bahn-/Stadtbahn- und Bahnstrecken über 1 kommen. Bezahlen muss man das alles trotzdem und der Finanzierungstopf wird wohl nicht deutlich größer.
Zitat
TomB
Bezahlen muss man das alles trotzdem, und der Finanzierungstopf wird wohl nicht deutlich größer.

Man muss hier zwei Fälle unterscheiden:

1. Projekte der Landkreise und Städte/Gemeinden, die nach dem GVFG gefördert werden können. Hier gibt es jährlich gedeckelte Fördertöpfe aus Bundesmitteln. Es scheint so zu sein, dass die erhöhten Fördermittel aus der Novelle des GVFG mit der bisherigen standardisierten Bewertung gar nicht ausgeschöpft werden können, da nicht genügend Projekte einen NKI > 1 erreichen.

2. Projekte des Regional- und Fernverkehrs, die vom Bundesland bzw. Bund finanziert werden, z.B. Elektrifizierungen oder separate S-Bahngleise (ich meine hier keine S-Bahnen mit DC-Stromschiene wie in Berlin). Auch diese Projekte müssen die standardisierte Bewertung bestehen, um überhaupt begonnen werden zu können. Wir haben da mehrere Projekte der S-Bahn Nürnberg, die durch die neue Bewertung leichter über die Schwelle kommen könnten.

Gsamtgesellschaftliche Aufgaben, z.B. barrierefreier Zugang (Aufzüge, Bahnsteighöhe etc):

Bei vorhandenen Anlagen des Regionalverkehrs wird der nachträgliche Bau von Aufzügen durch Programme der Länder bezahlt. Bei Neubauprojekten fließt das bisher negativ in die K-N-Analyse ein, so als ob der gesellschaftliche Nutzen einer betriebswirtschaftlichen Notwendigkeit entspreche. Das kann doch nicht richtig sein. Die Musik soll der bezahlen, der sie bestellt.
Die neue Version der Standardisierten Bewertung ist seit dem 1. Juli 2022 in Kraft. Pressemitteilung des BMDV:

Zitat

Volker Wissing: Bund erleichtert Finanzierung von ÖPNV-Projekten auf der Schiene
Seit heute gilt neue Standardisierte Bewertung

Seit heute gelten neue Bewertungsmaßstäbe für die Finanzierung von Projekten des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) auf der Schiene.

Bundesminister Dr. Volker Wissing:

Wir wollen den Nahverkehr mit mehr und besseren Angeboten attraktiver machen. Deshalb unterstützt der Bund die zuständigen Länder und Kommunen mit Milliardenbeträgen bei der Finanzierung des ÖPNV. Jetzt haben wir die Bewertungsmaßstäbe für Projekte, die sich um eine Bundesförderung bewerben, noch einmal weiterentwickelt und erweitert, so dass in Zukunft deutlich mehr Projekte für eine finanzielle Beteiligung durch den Bund in Frage kommen. Bei der Bewertung der Wirtschaftlichkeit fallen nun z.B. die Faktoren Klima- und Umweltschutz, Verkehrsverlagerung und Daseinsvorsorge stärker ins Gewicht. Das ist zeitgemäß und trägt unserem Ziel Rechnung, die Fahrgastzahlen des öffentlichen Verkehrs deutlich zu steigern.

Die neue Version (2016+) der Standardisierten Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen im öffentlichen Personennahverkehr ist ab sofort Grundlage für den für eine anteilige Bundesförderung notwendigen Nachweis der Wirtschaftlichkeit nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG).

Mit den Mitteln aus dem GVFG unterstützt das Bundesministerium für Digitales und Verkehr in erheblichem Maße Investitionen in den umweltfreundlichen schienengebundenen ÖPNV. Seit 2021 stehen allein jährlich GVFG-Mittel in Höhe von 1 Milliarde Euro zur Verfügung.

Ab 2025 steigen die GVFG-Mittel auf dann zwei Milliarden Euro und werden ab 2026 mit 1,8 Prozent jährlich dynamisiert. Die Mittel des GVFG dürfen u. a. verwendet werden für den Neu- und Ausbau von Verkehrswegen für z. B. Straßen-, Stadt- und U-Bahnen sowie Eisenbahnen.

Die neue Verfahrensanleitung wird die umfassende Darstellung der gesellschaftlichen, verkehrlichen und gesamtwirtschaftlichen Vorteile von ÖPNV-Vorhaben erheblich erleichtern, ihre Förderfähigkeit den politischen Zielen entsprechend erhöhen und auf dieser Basis den zügigeren, zweckmäßigen Einsatz der bereitgestellten Bundesmittel bewirken. Dadurch werden die Länder und Kommunen in die Lage versetzt, den ÖPNV weiter zu verbessern und attraktiv zu gestalten.

In diesem Zusammenhang sind u.a. folgende Ergänzungen und Aktualisierungen vorgenommen worden:

• Einführung von verschiedenen Verfahrensvereinfachungen (z.B. für Elektrifizierungs- oder Reaktivierungsvorhaben);
• Ergänzung des Verfahrens um zusätzliche Nutzenkomponenten (z.B. Daseinsvorsorge, Flächenverbrauch, Primärenergieverbrauch oder Resilienz);
• Aktualisierung spezifischer monetärer Wertansätze auf Basis neuer Erkenntnisse, insbesondere die Erhöhung des Kostensatzes für CO2-Emissionen;
• Ergänzungen für neue Antriebsarten im Hinblick auf die Kostensätze. Die Verfahrensanleitung zur Standardisierten Bewertung wurde unter Beteiligung der Länder sowie Vertretern der kommunalen Spitzenverbände und des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) in einem gemeinsamen Arbeitskreis überarbeitet.

Die neue Verfahrensanleitung und die zugehörigen Anlagen stehen unter dem folgenden Link zum Herunterladen zur Verfügung.

[www.bmdv.bund.de]



1 mal bearbeitet. Zuletzt am 05.07.2022 11:27 von Manfred Erlg.
Danke! Laut der Verfahrensanleitung haben sich folgende Dinge verändert:

"In der nunmehr vorliegenden Version 2016+ wurden insbesondere
  • zusätzliche Nutzenkomponenten aufgenommen:
    - Lebenszyklusemissionen (Treibhausgase bei der Herstellung von Infrastruktur und Fahrzeugen)
    - Nutzen gesellschaftlich auferlegter Investitionen
    - Nutzen anderer Netznutzer
    - Funktionsfähigkeit der Verkehrssysteme / Flächenverbrauch
    - Primärenergieverbrauch
    - Daseinsvorsorge / raumordnerische Aspekte
    - Resilienz von Schienennetzen
  • alternative Antriebsformen im ÖPNV sowie die Nutzung von Strom und Diesel aus regenerativen Energiequellen berücksichtigt,
  • das Konzept der impliziten Nutzendifferenz aus dem BVWP-Bewertungsverfahren verfeinert und konsequent in der Bewertung umgesetzt,
  • die Ermittlung der Verkehrswiderstände im ÖPNV für die Modal-Split-Berechnungen um die Berücksichtigung intermodaler Übergänge erweitert,
  • die fakultativen Modellbausteine um die Berücksichtigung besonderer touristischer Aspekte, Wachstumsreserven und P+R-Anlagen erweitert,
  • die Bewertung so erweitert, dass alle Fördertatbestände (einschließlich Seilbahnen) des novellierten GVFG abgebildet werden können, und
  • weitere vereinfachte Verfahren zur Bewertung von
    - Elektrifizierungsvorhaben sowie Tank- und Ladeinfrastruktur,
    - Reaktivierungsvorhaben und
    - Bahnhöfen und Umsteigeanlagen
    entwickelt."

Der VDV findet die neue Version ziemlich gut: "Können gut gefüllte GVFG-Liste nun besser abarbeiten"

Pro-Bahn hat auch eine Meldung zur Neuregelung, ist aber bei der Bewertung zurückhaltend: "Die bisherigen Leitlinien dazu wurden immer wieder kritisiert, da zum Beispiel Umweltaspekte zu wenig berücksichtigt wurden. Inwieweit die neue Version zukunftsfester ist, muss sich in der Praxis beweisen. Positiv und neu ist in jedem Fall die transparente Veröffentlichung auf den Seiten des Ministeriums."

Ber der Allianz pro Schiene finde ich noch nichts.

Der Lok-Report hat einen Artikel der hauptsächlich den VDV zitiert. Der Tagesspiegel hat einen hinter einer Bezahlschranke.
Aus den urpsprünglichen Vorschlägen von Scheuer vermisse ich immer noch vor allem:

"Wenn der magische Schwellenwert von 1 knapp verfehlt wird, sollen Projekte vom Bund zumindest teilweise gefördert werden können"

Es bleibt immer noch ein alles oder gar nichts, kein Raum für Kreativität bei den Finanzierungsmöglichkeiten.


"Wenn ein Projekt – etwa die Renovierung von bestehenden Strecken im laufenden Betrieb – in vielen Einzelvorhaben umgesetzt werden muss, sollen diese zukünftig gemeinsam betrachtet werden."

Das wäre enorm wichtig. Viele Projekte, gerade wenn es um eine völlig neue Linie geht und kein Ausbau, machen nur als Gesamtes Sinn. Aus diversen Gründen ist es aber sinnvoll, das Projekt in kleinere Planungs-/Bauabschnitte zu teilen. Auf der Ebene wird das Projekt dann von der Standardisierten Bewertung gekillt, weil diese Teilstrecken - welch eine Überraschung - für sich alleine nicht "wirtschaftlich" sind.
Zum ersten Zitat:

>> Es bleibt immer noch ein alles oder gar nichts, kein Raum für Kreativität bei den Finanzierungsmöglichkeiten. <<

Es gibt überhaupt keinen Zusammenhang zwischen der neuen Version 2016+ der Standardisierten Bewertung und der Frage, wie das Ergebnis der Nutzen-Kosten-Analyse politisch zu bewerten ist, also ob ein Projekt bei einem NKI von 0,98 oder 1,0 oder 1,05 förderwürdig ist.

Dass die Wirtschaftlichkeit von Nahverkehrsprojekten mit Hilfe der Standardisierten Bewertung nachzuweisen ist, steht auch nicht im GVFG, sondern beruht auf einer älteren Vereinbarung zwischen dem Bundesverkehrsminister und den Verkehrsministern der Bundesländer.


Zum zweiten Zitat:

>> Viele Projekte, gerade wenn es um eine völlig neue Linie geht und kein Ausbau, machen nur als Gesamtes Sinn. Aus diversen Gründen ist es aber sinnvoll, das Projekt in kleinere Planungs-/Bauabschnitte zu teilen. Auf der Ebene wird das Projekt dann von der Standardisierten Bewertung gekillt, weil diese Teilstrecken - welch eine Überraschung - für sich alleine nicht "wirtschaftlich" sind. <<

Es geht im vorangehenden Zitat ausdrücklich um Ausbauprojekte und eben nicht um Neubauprojekte. Neubauprojekte werden schon immer als Ganzes bewertet. Wenn das nicht so wäre, könnte ein solches Projekt - wie oben schon gesagt - bei einzelnen Baustufen scheitern. Siehe z. B. das Straßenbahnprojekt Stadtumlandbahn (StUB) Nürnberg - Erlangen - Herzogenaurach:

Durch die neue Version 2016+ ist der Nutzen so stark gestiegen, dass jetzt der nach dem alten Verfahren ausgeschiedene Ostast durch das Schwabachtal zu einem Umsteigepunkt mit der Gräfenbergbahn (DB Regio) doch möglich erscheint. Bei den bisherigen Rechnungen ist der Ostast auch schon zusammen mit dem Westast nach Herzogenaurach bewertet worden. Eine Bewertung des Ostasts als nachträgliches Einzelprojekt würde auch nach der neuen Version 2016+ scheitern.

Für den endgültigen Förderantrag wird man den NKI für diese Varianten berechnen:
1. bisher vorgesehene Strecke bis Herzogenaurach (sogenanntes L-Netz)
2. L-Netz zusammen mit Ostast (sogenanntes T-Netz)
3. Stammstrecke von Nürnberg-Buch (bisheriger Endpunkt der Nürnberger Straßenbahn) bis zum Erlanger Bahnhof

Wenn Punkt 3 einen NKI >= 1 erzielt, könnte bereits mit dem Bau begonnen werden, bevor die letzten zwei Bauabschnitte nach Herzogenaurach planfestgestellt sind.



1 mal bearbeitet. Zuletzt am 20.08.2023 11:28 von Manfred Erlg.
Sorry, in diesem Forum dürfen nur registrierte Benutzer schreiben.

Hier klicken, um sich einzuloggen