Für die Berliner wirkt es langsam wie eine Routine. Einst erklärte S-Bahnchef Tobias Heinemann, dass doch alles nicht so schlimm sei, man die Lage in Griff habe und Besserung absehbar sei. Das Leugnen der Krise erreichte ihren Höhepunkt in einem überaus peinlichen Auftritt in der Berliner Abendschau. Schließlich zog die Deutsche Bahn die Notbremse und ersetzte die komplette Geschäftsführung. Unter dem neuen Geschäftsführer Peter Buchner setzte ein Sanierungsprozess ein, der noch heute andauert. Wichtiger Bestandteil ist für Buchner ein Fahrplan, auf den sich die Fahrgäste verlassen können.
Genau daran mangelt es derzeit jedoch bei der BVG. Sie hat, wie auch die S-Bahn, schon seit mehreren Jahren Probleme den bestellten Fahrplan zu fahren. Hauptursache sind fehlende Fahrzeuge und fehlendes Fahr- und Werkstattpersonal, welches im Rahmen der getroffenen Einsparungsmaßnahmen abgebaut wurde. Für die nun aufgetretenen Probleme mit den neuen Doppeldeckern trägt die BVG ebenso wenig Verantwortung, wie für die brennenden Citaro-Busse, oder die Lieferverzögerungen bei den neuen Flexity-Straßenbahnen. Probleme mit der in diesem Sommer neu eingeführten Planungssoftware IVU. Suite wurden dagegen von Insidern vorhergesehen. Wenn diese den Verantwortlichen bekannt waren, hätte keine Umstellung stattfinden dürfen! Die Folgen davon treffen jedoch nicht nur die BVG-Mitarbeiter, die nun die Dienstpläne teilweise von Hand nachbearbeiten und mit anderen systembedingten Macken umgehen müssen, sie trifft ebenso die Fahrgäste. In der Anfangszeit machten sich die Probleme vor allem durch fehlerhafte Fahrzielanzeigen an Fahrzeugen und DAISY-Anzeigern bemerkbar, doch der bisherige Höhepunkt wurde am letzten Wochenende im Oktober erreicht, als in der Onlinefahrplanauskunft für viele Buslinien völlig falsche Abfahrtszeiten angegeben wurden, was bei den Fahrgästen zu Frust und durch verpasste Anschlüsse zu erheblichen Fahrzeitverlängerungen führte. Ein Anruf bei bei der Kundenhotline ergab (nach dem Überwinden des Sprachcomputers), dass es wegen der Zeitumstellung zu keinen Abweichungen vom Aushangfahrplan komme und die Fahrplanauskunft gestört sei. Einen Hinweis auf der BVG-Homepage gab es dazu jedoch nicht.
Die Nerven ihrer Fahrgäste strapazierte die BVG am letzten Oktober-Wochenende zudem auch in Prenzlauer Berg, sowie Anfang November in Karlshorst, Schöneweide und Köpenick:
Wegen Bauarbeiten wurden Teile der Linien M1 und 12 im Schienenersatzverkehr bedient. Leider waren die Busse nicht nur schlecht beschildert und die Haltestellensituation am U-Bahnhof Eberswalder Str. mit 3 SEV-Linien völlig unübersichtlich, es standen auch nicht genug Busse zur Verfügung, so dass auf der Linie 12 zwischen Prenzlauer Allee/ Ostseestraße und Am Kupfergraben zeitweise nur 2 Busse fuhren und Bedienlücken von bis zu 60 Minuten entstanden. Besonders perfide war dabei allerdings, dass die Linie 12 vom Pasedagplatz kommend nach gut 4 Kilometern ihre Fahrgäste an der Prenzlauer Allee/ Ostseestraße entlud, um dann als Betriebsfahrt über Prenzlauer Allee, Torstraße und Invalidenstraße zur Schleife Schwartzkopffstraße gut 6 Kilometer ohne Fahrgäste zu fahren. Während der Fußball-WM wurde diese Umleitung selbstverständlich mit Fahrgästen befahren, zumal an der Brunnenstraße/ Invalidenstraße wieder der originale Linienweg erreicht wurde. Kritik an dieser Vorgehensweise übte auch der Berliner Fahrgastverband IGEB in seiner Zeitschrift „Signal“.
Trotz akutem Busmangel wurde auch am ersten Wochenende im November wieder mehr Schienenersatzverkehr als nötig geplant. Wegen Bauarbeiten am Tierpark war der Straßenbahnverkehr der Linien M17 und 27 unterbrochen. Ein Gleiswechsel am S-Bahnhof Karlshorst wurde zwar bereits bei den letzten Bauarbeiten in der Treskowallee eingebaut, die Oberleitung wurde jedoch noch nicht angepasst, sodass der Gleiswechsel derzeit nicht nutzbar ist. Selbst die in der Nähe befindliche Schleife Blockdammweg, die normalerweise bei Sperrungen in diesem Bereich genutzt wird, wurde nicht angefahren. Die Linie M17 fuhr nur zwischen Schöneweide und der „Königsplatz“ genannten Kreuzung Wilhelminenhof-/ Edisonstraße und wurde dort laut Bauinformation mit der Linie 27 zum Krankenhaus Köpenick verknüpft. In der Fahrplanauskunft war dies leider nicht ersichtlich, hier endeten alle Fahrten am „Königsplatz“. Auf der südlichen Treskowallee verkehrten Straßenbahnlinie 21 und M17/27-SEV parallel, wobei der Bus nur alle 10 Minuten fuhr und damit die Linie 27 auf dem ersetzten Abschnitt ersatzlos entfiel.
Durch die Probleme, insbesondere im Busbereich, wäre eigentlich eine Offensive bei der Fahrgastinformation nötig, doch das Gegenteil ist der Fall. Gerade bei Baustellen, wo der Informationsbedarf besonders groß ist, wurde sie sogar zurückgefahren. Die großen Informationstafeln, die an den Haltestellenzugängen aufgestellt werden, enthalten nun keine Baustelleninformationen mehr, sondern nur noch den Hinweis auf die Aushänge an der Haltestelle. Doch dort wird inzwischen meist nicht einmal mehr der Baustellenfahrplan ausgehangen, an dem die Fahrgäste erkennen könnten, wohin die Züge tatsächlich fahren. Leidvoll durften dies M2-Fahrgäste während der Bauarbeiten zwischen Prenzlauer Promenade und Heinersdorf erfahren, die dann Am Steinberg erfahren mussten, dass dieser Ersatzbus leider nicht nach Heinersdorf durchfährt, obwohl er doch der Abschlussbus an die entsprechend geschilderte Straßenbahn war. Hängt ein Baustellenfahrplan aus, so ist dieser oftmals verwirrend. Erneut betraf dies das Linienbündel M17/27. Beide Linien waren wegen Bauarbeiten an der Landsberger Allee/ Rhinstraße mit den Linien M6 und 16 verknüpft. Während das Linienband der M17 bereits an der Meeraner Straße endete und an dieser Haltestelle Abfahrtszeiten ohne weiteren Linienverlauf aushingen, fuhr die 27 laut Linienband wie gewohnt zum Pasedagplatz. Auch die mit Fußnoten versehenen Abfahrtszeiten bildeten den Normal- und nicht den Baustellenfahrplan ab. Dieses Problem betraf auch die Linien M6 und 16. Auf die Linienverknüpfungen wurden immerhin im Hinweis-Kästchen des Fahrplans hingewiesen, doch wohin welcher Zug tatsächlich fuhr war nicht ablesbar und mutierte je nach Betriebszeit zur Wundertüte. Die Verwirrung, die die BVG mit ihrem Beschilderungskonzept stiftet, machten die DAISY-Anzeiger deutlich. Ab Schöneweide fuhr angeblich die M6 (statt der M17) nach Falkenberg. Weder Liniennummer, noch Fahrziel entsprachen der Realität.
Angesichts dieser (Nicht-)Leistungen veröffentlichte der Berliner Fahrgastverband IGEB einen Pressedienst mit 4 Forderungen. Wichtigster Punkt ist die Forderung nach einem verlässlichen (Not-)Fahrplan, insbesondere im Bus-Bereich, sowie die Anmietung weiter Busse zur Linderung des Fahrzeugmangels. Außerdem solle die BVG eine Entschuldigungsregelung analog zur S-Bahn anbieten und langfristig die Fahrzeugreserve ausbauen.
Sigrid Nikutta erklärte erklärte vor ihrem Amtsantritt als BVG-Chefin, sie wolle einen Blumenstrauß an Maßnahmen vorlegen, doch stattdessen wirft sie, in bester Heinemann-Manier, nur Nebelkerzen in die Öffentlichkeit. Nachdem erneut ein Citaro-Bus brannte, zog die BVG nun erstmals die Notbremse und vereinbarte mit dem Hersteller Mercedes eine komplette Überprüfung der betroffenen Serie. Die hinzugezogenen Prüfer der DEKRA stellten bei mehreren Fahrzeugen eklatante Wartungsmängel fest, die für die Brände (mit)verantwortlich sein könnten. Die betroffenen Fahrzeuge sollen nun gründlich repariert werden und anschließend in den Fahrgasteinsatz zurückkehren. Doch Probleme gibt es auch bei anderen Bustypen, deren Behebung laut älteren BVG-Mitteilungen noch bis zum Frühjahr andauert. Dem Fahrgast nutzt es wenig, dass in diesem Jahr 99% der 88 Millionen Kilometer beim Bus gefahren werden, wenn er nicht weiß, wo der eine übrigbleibende Prozent ausfällt. Ein Prozent klingt wenig und daher gut für eine Pressemitteilung, doch ein Prozent entspricht immerhin 880.000 Kilometern im Jahr, oder 2.411 Kilometern am Tag. Pro Stunde sind das theoretisch 100 Kilometer, was etwa der Buslinie 100 im 10-Minutentakt entspricht. Hinzu kommen die Fahrten, auf denen derzeit kleinere Fahrzeuge eingesetzt werden, und die wegen der daraus resultierenden Überfüllung verspätungsanfällig sind und die teilweise sogar wartende Fahrgäste zurücklassen müssen.
Fazit: Aus Fahrgastsicht wäre ein verlässlicher Notfahrplan mit einem angepassten Fahrzeugeinsatz dringend geboten und wesentlich zuverlässiger als das derzeit gültige Lottospiel, ob der Bus "nur" verspätet ist, oder ganz ausfällt. Zudem muss die Fahrgastinformation dringend verbessert und die Beschilderungstaktik bei Umleitungen und Ersatzverkehren, auch angesichts der systembedingten Probleme, überdacht werden.
(Foto: Symptomatisch für das BVG-Chaos - auf dem Boden liegendes Haltestellenschild ohne Informationen an der Rhinstr. - Tom Gerlich)
Artikel geschrieben von
Tom Gerlich