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Warum die Verkehrswende scheitern wird
geschrieben von Manfred Erlg 
Aktueller Artikel von BR24 über das marode Bahnnetz am Beispiel Bayern. Dann folgt ein Hinweis auf einen internen Prüfbericht (200 Seiten) des Physikers Anatol Jung (dessen Anstellung bei der Bahn danach gekündigt wurde), der inzwischen auch beim Bundestag angekommen ist.

Marode Bahn in Bayern: Warum die Probleme nicht enden

Die Pünktlichkeitswerte für den Mai 2023 liegen im Bahn-Fernverkehr bei 65,5 Prozent. Auch im Regionalverkehr sind Verspätungen und Ausfälle Alltag. Die Infrastruktur ist jahrelang vernachlässigt worden. Wie verheerend die Lage wirklich ist.

[www.br.de]

Auszüge:

>> Weil die Bahnanlagen so störanfällig sind, machen sie Fahrgäste wie Beschäftigte mürbe. Der Vorsitzende der Lokführergewerkschaft GDL in Bayern, Uwe Böhm, berichtet über eine Dienstfahrt von München nach Nürnberg.

"Wir fahren schon nicht los wegen der Signalstörung bei Dachau. Ja, das ist nun keine auffällige Strecke. Da ist einfach das Signal gestört. Auf der Rückfahrt von Nürnberg passiert dann das Gleiche, über den Weg nach Treuchtlingen wieder eine Signalstörung. Das heißt, ich habe eine Verspätung von zwei Stunden zwischen München und Nürnberg." Uwe Böhm, GDL Bayern <<


>> Es hat viele Gründe, aber Bahn-Baumaßnahmen kommen kaum in die Gänge in Deutschland. Und wenn doch, dann dauern sie lange. Und wenn nicht total gesperrt werden kann, dann muss unter rollendem Rad gebaut werden. Abschnittsweise werden die größten Löcher gestopft. Lukas Iffländer erinnert an das Flächennetz.

"Wenn wir jetzt mal gerade ans Werdenfels zum Beispiel denken, wo wir wirklich sehen, dass das qualitativ auch ziemlich weit runter ist und dass wir da eben wirklich bis zum Fall Entgleisung mit Todesfolge schon als Szenario hatten." Lukas Iffländer, Pro Bahn <<


>> Dass die Bahn so weit heruntergekommen ist, habe systemische Ursachen, sagt auch der Physiker Anatol Jung. Er hat als Qualitäts- und Sicherheitsprüfer über drei Jahre Dokumente kontrolliert und mit Streckenverantwortlichen in Deutschland teils mehrstündige Interviews gemacht. Dabei ging es um den Zustand der Anlagen, die Wartung. Was er dabei herausgefunden hat, liegt dokumentiert in einem 200-seitigen Bericht vor, der im Konzern verteilt wurde und inzwischen beim Bundestag gelandet ist.

Weil Jung den Bahn-Mitarbeitern Anonymität zugesagt hat, haben sie mit großer Offenheit berichtet. Gefragt nach den Hauptgründen fasst Jung zusammen:

"Also, es ist Personalmangel, Unterqualifizierung und Erfahrungsverlust durch Abgang in Rente oder Flucht. Dann die Netzüberlastung der Anlagen, Zerfall, die nachlassende Instandhaltungs- Qualität, das erhört das Störaufkommen und vor allem der mitwachsende Druck in der Linie. Es wird massiv nach unten gedrückt." Anatol Jung, DB-Sicherheitsprüfer <<


>> Die aufgedeckten Mängel sind durchaus brisant: Wartungsfristen, die überzogen wurden, Meldungen über Probleme ohne Konsequenzen und dabei enormer Druck auf die Mitarbeitenden. Im Ergebnis in weiten Bereichen des Schienennetzes: nachlassende Instandsetzungsqualität. Gerade in Bayern.

Er habe Einblick in das Logbuch der Leit- und Sicherungstechnik bekommen, also der gefährlichen Ereignisse, die über seinen Schreibtisch liefen, sofern sie nicht vertuscht worden seien, so Jung im Interview mit dem BR:

"Und dann konnte ich ja zuerst die Bahnübergangs-Misere sehen. Und das ist so hanebüchen. Es ist einfach jahrelang nichts gemacht worden. Und was mich als Prüfer schockiert: Die ganzen internen Aufsichtsinstanzen der Bahn haben weggeschaut." Anatol Jung <<

>> Den maroden Zustand der heutigen Bahn haben die Politik und die Unternehmensleitung in den letzten dreißig Jahren durch Unterlassen und falsche Entscheidungen herbeigeführt. Lukas Iffländer erinnert an die massiven Sparmaßnahmen nach der Umwandlung der Bundesbahn in eine Aktiengesellschaft unter den Bahnchefs Dürr und Mehdorn, als das Ziel war, eine Infrastruktur zu haben, die Gewinn erwirtschaftet, fasst das Iffländer zusammen.


>> Nach den an der Bahn desinteressierten Verkehrsministern der SPD und der CSU stellen sich Bahn und Regierung nun der Realität, loben die Gewerkschafter. Ob Klimmt, Bodewig, Stolpe oder Tiefensee. Unter Ramsauer wurde die Bahnabteilung im Verkehrsministerium sogar aufgelöst, erfuhr der BR im Interview. Dann Dobrindt und Scheuer. Sie alle haben es aus Sicht der Gewerkschaften und der Fahrgastverbände an Engagement für die Bahn fehlen lassen.

"Herr Lutz und Herr Wissing sind quasi jetzt die ersten, die sich da mal so richtig ehrlich machen, die die Hosen runterlassen, könnte man sagen, weil wir gehen wirklich davon aus, dass man von der Vergangenheit da nicht drüber reden durfte", sagt Lukas Iffländer. Er könne sich nicht vorstellen, dass Herr Lutz wirklich so blind gewesen ist in all den Jahren, wo er im Konzern war. "Dass er es einfach nicht gemerkt hat, sondern dass man eben mehr oder minder eine Maulsperre verpasst hat. Dass er nicht drüber reden durfte." <<
Das RND hat durch den Datenjournalisten Johannes Christ Daten von Zugfinder.net aufbereiten lassen, die die Pünktlichkeit im Fernverkehr in den ersten Quartalen 2020 und 2023 vergleichen und eine flächendeckend ziemlich dramatische Verschlechterung zeigen. Während die Werte insgesamt in den Jahren 2012 bis 2019 und 2021 immer um die 75 % lagen, sind sie 2022 um 10 Prozentpunkte auf 65 % abgesackt.

In mehreren interaktiven Diagrammen und Karten wird u.a. aufgezeigt, wo es am schlimmsten um die Pünktlichkeit gestellt ist, wo es besser und wo schlechter geworden ist: [www.rnd.de]

Vor allem in NRW ist es ziemlich dramatisch schlechter geworden. Der Bahnhof mit den schlechtesten Werten, den ich gefunden habe, ist Lübeck Hbf., den nur 41,5 % aller Fernzüge pünktlich erreichten. (Oder findet jemand noch einen schlechteren?) Vor allem bezüglich der Ankünfte hat der Bahnhof den Nachteil, dass nur wenige Fernzüge ankommen, die überwiegend enden und dabei oft auch recht lange verspätungsanfällige Strecken hinter sich haben.

Wenig positive Ergänzung zu diesen Zahlen: Die ersten Monate des Jahres 2022 waren dabei noch die besten, 2023 ging noch schlechter los, wie die Bahn auf ihrer eigenen Website zeigt. Die Pünktlichkeit im Januar 23 war nochmal 7,7 Prozentpunkte unter der vom Januar 22, im Februar waren es 5,3, im März 2,7, erst im April und Mai wurde es wieder leicht besser.
Ganz interessanter Beitrag zum ÖPNV auf dem Land. Trotz überdurchschnittlich guten Angebotes wird er kaum genutzt.
https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/OePNV-auf-dem-Land-Immer-wieder-leere-Busse-unterwegs,geisterbusse100.html
Milliardenprogramm »Starke Schiene«

DER SPIEGEL berichtet heute: Mit der Strategie der »starken Schiene« will die Deutsche Bahn ihr Netz stärken und die Fahrgastzahlen verdoppeln. Doch nur jeder dritte Beschäftigte der DB Netz AG glaubt an eine erfolgreiche Umsetzung.

[www.spiegel.de]
Streckensperrungen wegen Großbaustellen

2019 hat die DB nach ca. 30 Jahren Betrieb mit der Sanierung der ersten zwei Schnellfahrstrecken Hannover - Würzburg und Mannheim - Stuttgart begonnen. Derzeit wird der letzte Abschnitt zwischen Kassel und Fulda saniert. Während der Bauarbeiten werden die Züge über andere Strecken umgeleitet, z.B. die Altstrecke zwischen Hannover und Würzburg.

[bauprojekte.deutschebahn.com]

Außerdem wird in diesem Jahr die offiziell überlastete Strecke zwischen Würzburg und Fürth in zwei Abschnitten unter Vollsperrung saniert. Züge der Relation Hannover - Nürnberg werden z. T. über Erfurt und Bamberg umgeleitet.

[bauprojekte.deutschebahn.com]

Im nächsten Jahr beginnt ein neues Sanierungsprogramm, das 2030 abgeschlossen werden soll. 2024 ist die Riedbahn dran. In nur fünf Monaten werden an der Strecke zwischen Frankfurt und Mannheim der Oberbau, Schallschutzwände und die Signaltechnik erneuert sowie 20 Bahnhöfe modernisiert. Zum ersten Mal zielen die geplanten Erneuerungen dabei gemeinschaftlich auf Netz und Stationen ab.

[www.riedbahn.de]

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Bei tagesschau.de gibt es einen skeptischen Artikel zu den geplanten Baumaßnahmen:

Zitat

Zukunft der Deutschen Bahn: "Baustellen, Baustellen, Baustellen"

Stand: 27.07.2023 17:52 Uhr

Ab nächstem Sommer will die Bahn ihr Schienennetz erneuern. Bis 2030 soll alles fertig sein und die Fahrgastzahlen doppelt so hoch liegen wie vor Corona. Ein Plan, bei dem sehr vieles klappen muss, damit er gelingt.

[www.tagesschau.de]

Zwei Zitate aus dem Artikel:

Zitat

"Baustellen, Baustellen, Baustellen. Das heißt für viele erst mal: längere Fahrzeiten und Verspätungen", so fasst Dirk Flege, Geschäftsführer beim Lobbyverband Allianz pro Schiene, die Aussichten für Fahrgäste bis 2030 zusammen. In den kommenden Jahren müssten Passagiere ausbaden, was seit Jahren schief gelaufen sei: "Wir sehen heute das Ergebnis der Vergangenheit. Ein Großteil des Chaos kommt durch mangelnde Investitionen in Netz und Infrastruktur zustande."

Zitat

Das Großbauprogramm der Bahn ist geradezu radikal: die am stärksten befahrenen Strecken sollen generalsaniert werden - und dafür monatelang komplett gesperrt bleiben. Dann, 2030, soll die Bahn deutlich leistungsfähiger dastehen. Soweit der Plan.

Doch Flege und andere Bahnexperten haben Zweifel, ob das gelingen kann. "Das Großbaustellen-Programm ist derartig anspruchsvoll, dass wirklich die Frage ist, ob das zu schaffen ist. Auf einen Schlag werden Milliarden in das System gepumpt. Allein im kommenden Jahr drei Milliarden mehr als in diesem. Das muss man erstmal verbauen können. Das Programm ist beispiellos", so Flege.

Doch kann die Bauwirtschaft das leisten? In Deutschland ist in den vergangenen Jahren so wenig in das Schienennetz investiert worden, dass die Bauwirtschaft ihre Kapazitäten für den Bahnbau angepasst hat. Es gibt kaum noch Baufirmen, die diese speziellen Leistungen anbieten.

Nicht zu vergessen, bis Anfang der 30er Jahre wird noch zwischen Nürnberg und Bamberg gebaut: 4-gleisiger Ausbau und Güterzugtunnel unter Fürth und Nürnberg zum Rangierbahnhof. Und der Ausbau zwischen Berlin und Dresden sowie an Rhein und Ruhr ist auch noch nicht fertiggestellt (um nur einige Beispiele zu nennen).

[bauprojekte.deutschebahn.com]



1 mal bearbeitet. Zuletzt am 28.07.2023 11:23 von Manfred Erlg.
Hier noch ein paar Presseinformationen der DB:

15. September - Generalsanierung:

Bund und Deutsche Bahn bringen größtes Infrastrukturprogramm für die Schiene auf den Weg

Umfassende Erneuerung und Modernisierung von Schienennetz und Bahnhöfen für mehr Qualität und Pünktlichkeit •
Reihenfolge der 40 Streckenabschnitte für Generalsanierung bis 2030 steht fest •
Auch in das Flächennetz und breite Digitalisierung wird investiert


[www.deutschebahn.com]

(Für Details siehe das Faktenblatt unter Downloads.)



29. September - Fahrplanverbesserungen:

Fahrplan 2024: bis zu 25 Prozent mehr Sitzplätze auf Hauptrouten

Deutlich mehr Kapazität zwischen Berlin und NRW sowie Berlin und München •
Neue besonders schnelle Sprinter Berlin–München • Viele regionale Verbesserungen •
Fahrkarten ab 11. Oktober erhältlich


[www.deutschebahn.com]

(Hinweis: Wegen einer einwöchigen Totalsperre zwischen Fürth und Bamberg tritt der neue Fahrplan zwischen München und Berlin eine Woche verspätet in Kraft.)


2. November - Riedbahn:

Riedbahn-Generalsanierung: DB hat alle Aufträge für Pilotprojekt auf dem Weg zum Hochleistungsnetz vergeben

Vier erfahrene Unternehmen setzen enormes Baupensum um •
Aktualisierter Kostenplan enthält Umrüstung der Strecke auf elektronische Stellwerkstechnik •
Zusätzlicher Mittelbedarf der DB bleibt unverändert


[www.deutschebahn.com]
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