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Warum die Verkehrswende scheitern wird
geschrieben von Manfred Erlg 
Aktueller Artikel von BR24 über das marode Bahnnetz am Beispiel Bayern. Dann folgt ein Hinweis auf einen internen Prüfbericht (200 Seiten) des Physikers Anatol Jung (dessen Anstellung bei der Bahn danach gekündigt wurde), der inzwischen auch beim Bundestag angekommen ist.

Marode Bahn in Bayern: Warum die Probleme nicht enden

Die Pünktlichkeitswerte für den Mai 2023 liegen im Bahn-Fernverkehr bei 65,5 Prozent. Auch im Regionalverkehr sind Verspätungen und Ausfälle Alltag. Die Infrastruktur ist jahrelang vernachlässigt worden. Wie verheerend die Lage wirklich ist.

[www.br.de]

Auszüge:

>> Weil die Bahnanlagen so störanfällig sind, machen sie Fahrgäste wie Beschäftigte mürbe. Der Vorsitzende der Lokführergewerkschaft GDL in Bayern, Uwe Böhm, berichtet über eine Dienstfahrt von München nach Nürnberg.

"Wir fahren schon nicht los wegen der Signalstörung bei Dachau. Ja, das ist nun keine auffällige Strecke. Da ist einfach das Signal gestört. Auf der Rückfahrt von Nürnberg passiert dann das Gleiche, über den Weg nach Treuchtlingen wieder eine Signalstörung. Das heißt, ich habe eine Verspätung von zwei Stunden zwischen München und Nürnberg." Uwe Böhm, GDL Bayern <<


>> Es hat viele Gründe, aber Bahn-Baumaßnahmen kommen kaum in die Gänge in Deutschland. Und wenn doch, dann dauern sie lange. Und wenn nicht total gesperrt werden kann, dann muss unter rollendem Rad gebaut werden. Abschnittsweise werden die größten Löcher gestopft. Lukas Iffländer erinnert an das Flächennetz.

"Wenn wir jetzt mal gerade ans Werdenfels zum Beispiel denken, wo wir wirklich sehen, dass das qualitativ auch ziemlich weit runter ist und dass wir da eben wirklich bis zum Fall Entgleisung mit Todesfolge schon als Szenario hatten." Lukas Iffländer, Pro Bahn <<


>> Dass die Bahn so weit heruntergekommen ist, habe systemische Ursachen, sagt auch der Physiker Anatol Jung. Er hat als Qualitäts- und Sicherheitsprüfer über drei Jahre Dokumente kontrolliert und mit Streckenverantwortlichen in Deutschland teils mehrstündige Interviews gemacht. Dabei ging es um den Zustand der Anlagen, die Wartung. Was er dabei herausgefunden hat, liegt dokumentiert in einem 200-seitigen Bericht vor, der im Konzern verteilt wurde und inzwischen beim Bundestag gelandet ist.

Weil Jung den Bahn-Mitarbeitern Anonymität zugesagt hat, haben sie mit großer Offenheit berichtet. Gefragt nach den Hauptgründen fasst Jung zusammen:

"Also, es ist Personalmangel, Unterqualifizierung und Erfahrungsverlust durch Abgang in Rente oder Flucht. Dann die Netzüberlastung der Anlagen, Zerfall, die nachlassende Instandhaltungs- Qualität, das erhört das Störaufkommen und vor allem der mitwachsende Druck in der Linie. Es wird massiv nach unten gedrückt." Anatol Jung, DB-Sicherheitsprüfer <<


>> Die aufgedeckten Mängel sind durchaus brisant: Wartungsfristen, die überzogen wurden, Meldungen über Probleme ohne Konsequenzen und dabei enormer Druck auf die Mitarbeitenden. Im Ergebnis in weiten Bereichen des Schienennetzes: nachlassende Instandsetzungsqualität. Gerade in Bayern.

Er habe Einblick in das Logbuch der Leit- und Sicherungstechnik bekommen, also der gefährlichen Ereignisse, die über seinen Schreibtisch liefen, sofern sie nicht vertuscht worden seien, so Jung im Interview mit dem BR:

"Und dann konnte ich ja zuerst die Bahnübergangs-Misere sehen. Und das ist so hanebüchen. Es ist einfach jahrelang nichts gemacht worden. Und was mich als Prüfer schockiert: Die ganzen internen Aufsichtsinstanzen der Bahn haben weggeschaut." Anatol Jung <<

>> Den maroden Zustand der heutigen Bahn haben die Politik und die Unternehmensleitung in den letzten dreißig Jahren durch Unterlassen und falsche Entscheidungen herbeigeführt. Lukas Iffländer erinnert an die massiven Sparmaßnahmen nach der Umwandlung der Bundesbahn in eine Aktiengesellschaft unter den Bahnchefs Dürr und Mehdorn, als das Ziel war, eine Infrastruktur zu haben, die Gewinn erwirtschaftet, fasst das Iffländer zusammen.


>> Nach den an der Bahn desinteressierten Verkehrsministern der SPD und der CSU stellen sich Bahn und Regierung nun der Realität, loben die Gewerkschafter. Ob Klimmt, Bodewig, Stolpe oder Tiefensee. Unter Ramsauer wurde die Bahnabteilung im Verkehrsministerium sogar aufgelöst, erfuhr der BR im Interview. Dann Dobrindt und Scheuer. Sie alle haben es aus Sicht der Gewerkschaften und der Fahrgastverbände an Engagement für die Bahn fehlen lassen.

"Herr Lutz und Herr Wissing sind quasi jetzt die ersten, die sich da mal so richtig ehrlich machen, die die Hosen runterlassen, könnte man sagen, weil wir gehen wirklich davon aus, dass man von der Vergangenheit da nicht drüber reden durfte", sagt Lukas Iffländer. Er könne sich nicht vorstellen, dass Herr Lutz wirklich so blind gewesen ist in all den Jahren, wo er im Konzern war. "Dass er es einfach nicht gemerkt hat, sondern dass man eben mehr oder minder eine Maulsperre verpasst hat. Dass er nicht drüber reden durfte." <<
Das RND hat durch den Datenjournalisten Johannes Christ Daten von Zugfinder.net aufbereiten lassen, die die Pünktlichkeit im Fernverkehr in den ersten Quartalen 2020 und 2023 vergleichen und eine flächendeckend ziemlich dramatische Verschlechterung zeigen. Während die Werte insgesamt in den Jahren 2012 bis 2019 und 2021 immer um die 75 % lagen, sind sie 2022 um 10 Prozentpunkte auf 65 % abgesackt.

In mehreren interaktiven Diagrammen und Karten wird u.a. aufgezeigt, wo es am schlimmsten um die Pünktlichkeit gestellt ist, wo es besser und wo schlechter geworden ist: [www.rnd.de]

Vor allem in NRW ist es ziemlich dramatisch schlechter geworden. Der Bahnhof mit den schlechtesten Werten, den ich gefunden habe, ist Lübeck Hbf., den nur 41,5 % aller Fernzüge pünktlich erreichten. (Oder findet jemand noch einen schlechteren?) Vor allem bezüglich der Ankünfte hat der Bahnhof den Nachteil, dass nur wenige Fernzüge ankommen, die überwiegend enden und dabei oft auch recht lange verspätungsanfällige Strecken hinter sich haben.

Wenig positive Ergänzung zu diesen Zahlen: Die ersten Monate des Jahres 2022 waren dabei noch die besten, 2023 ging noch schlechter los, wie die Bahn auf ihrer eigenen Website zeigt. Die Pünktlichkeit im Januar 23 war nochmal 7,7 Prozentpunkte unter der vom Januar 22, im Februar waren es 5,3, im März 2,7, erst im April und Mai wurde es wieder leicht besser.
Ganz interessanter Beitrag zum ÖPNV auf dem Land. Trotz überdurchschnittlich guten Angebotes wird er kaum genutzt.
https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/OePNV-auf-dem-Land-Immer-wieder-leere-Busse-unterwegs,geisterbusse100.html
Milliardenprogramm »Starke Schiene«

DER SPIEGEL berichtet heute: Mit der Strategie der »starken Schiene« will die Deutsche Bahn ihr Netz stärken und die Fahrgastzahlen verdoppeln. Doch nur jeder dritte Beschäftigte der DB Netz AG glaubt an eine erfolgreiche Umsetzung.

[www.spiegel.de]
Streckensperrungen wegen Großbaustellen

2019 hat die DB nach ca. 30 Jahren Betrieb mit der Sanierung der ersten zwei Schnellfahrstrecken Hannover - Würzburg und Mannheim - Stuttgart begonnen. Derzeit wird der letzte Abschnitt zwischen Kassel und Fulda saniert. Während der Bauarbeiten werden die Züge über andere Strecken umgeleitet, z.B. die Altstrecke zwischen Hannover und Würzburg.

[bauprojekte.deutschebahn.com]

Außerdem wird in diesem Jahr die offiziell überlastete Strecke zwischen Würzburg und Fürth in zwei Abschnitten unter Vollsperrung saniert. Züge der Relation Hannover - Nürnberg werden z. T. über Erfurt und Bamberg umgeleitet.

[bauprojekte.deutschebahn.com]

Im nächsten Jahr beginnt ein neues Sanierungsprogramm, das 2030 abgeschlossen werden soll. 2024 ist die Riedbahn dran. In nur fünf Monaten werden an der Strecke zwischen Frankfurt und Mannheim der Oberbau, Schallschutzwände und die Signaltechnik erneuert sowie 20 Bahnhöfe modernisiert. Zum ersten Mal zielen die geplanten Erneuerungen dabei gemeinschaftlich auf Netz und Stationen ab.

[www.riedbahn.de]

-------------------

Bei tagesschau.de gibt es einen skeptischen Artikel zu den geplanten Baumaßnahmen:

Zitat

Zukunft der Deutschen Bahn: "Baustellen, Baustellen, Baustellen"

Stand: 27.07.2023 17:52 Uhr

Ab nächstem Sommer will die Bahn ihr Schienennetz erneuern. Bis 2030 soll alles fertig sein und die Fahrgastzahlen doppelt so hoch liegen wie vor Corona. Ein Plan, bei dem sehr vieles klappen muss, damit er gelingt.

[www.tagesschau.de]

Zwei Zitate aus dem Artikel:

Zitat

"Baustellen, Baustellen, Baustellen. Das heißt für viele erst mal: längere Fahrzeiten und Verspätungen", so fasst Dirk Flege, Geschäftsführer beim Lobbyverband Allianz pro Schiene, die Aussichten für Fahrgäste bis 2030 zusammen. In den kommenden Jahren müssten Passagiere ausbaden, was seit Jahren schief gelaufen sei: "Wir sehen heute das Ergebnis der Vergangenheit. Ein Großteil des Chaos kommt durch mangelnde Investitionen in Netz und Infrastruktur zustande."

Zitat

Das Großbauprogramm der Bahn ist geradezu radikal: die am stärksten befahrenen Strecken sollen generalsaniert werden - und dafür monatelang komplett gesperrt bleiben. Dann, 2030, soll die Bahn deutlich leistungsfähiger dastehen. Soweit der Plan.

Doch Flege und andere Bahnexperten haben Zweifel, ob das gelingen kann. "Das Großbaustellen-Programm ist derartig anspruchsvoll, dass wirklich die Frage ist, ob das zu schaffen ist. Auf einen Schlag werden Milliarden in das System gepumpt. Allein im kommenden Jahr drei Milliarden mehr als in diesem. Das muss man erstmal verbauen können. Das Programm ist beispiellos", so Flege.

Doch kann die Bauwirtschaft das leisten? In Deutschland ist in den vergangenen Jahren so wenig in das Schienennetz investiert worden, dass die Bauwirtschaft ihre Kapazitäten für den Bahnbau angepasst hat. Es gibt kaum noch Baufirmen, die diese speziellen Leistungen anbieten.

Nicht zu vergessen, bis Anfang der 30er Jahre wird noch zwischen Nürnberg und Bamberg gebaut: 4-gleisiger Ausbau und Güterzugtunnel unter Fürth und Nürnberg zum Rangierbahnhof. Und der Ausbau zwischen Berlin und Dresden sowie an Rhein und Ruhr ist auch noch nicht fertiggestellt (um nur einige Beispiele zu nennen).

[bauprojekte.deutschebahn.com]



1 mal bearbeitet. Zuletzt am 28.07.2023 11:23 von Manfred Erlg.
Hier noch ein paar Presseinformationen der DB:

15. September - Generalsanierung:

Bund und Deutsche Bahn bringen größtes Infrastrukturprogramm für die Schiene auf den Weg

Umfassende Erneuerung und Modernisierung von Schienennetz und Bahnhöfen für mehr Qualität und Pünktlichkeit •
Reihenfolge der 40 Streckenabschnitte für Generalsanierung bis 2030 steht fest •
Auch in das Flächennetz und breite Digitalisierung wird investiert


[www.deutschebahn.com]

(Für Details siehe das Faktenblatt unter Downloads.)



29. September - Fahrplanverbesserungen:

Fahrplan 2024: bis zu 25 Prozent mehr Sitzplätze auf Hauptrouten

Deutlich mehr Kapazität zwischen Berlin und NRW sowie Berlin und München •
Neue besonders schnelle Sprinter Berlin–München • Viele regionale Verbesserungen •
Fahrkarten ab 11. Oktober erhältlich


[www.deutschebahn.com]

(Hinweis: Wegen einer einwöchigen Totalsperre zwischen Fürth und Bamberg tritt der neue Fahrplan zwischen München und Berlin eine Woche verspätet in Kraft.)


2. November - Riedbahn:

Riedbahn-Generalsanierung: DB hat alle Aufträge für Pilotprojekt auf dem Weg zum Hochleistungsnetz vergeben

Vier erfahrene Unternehmen setzen enormes Baupensum um •
Aktualisierter Kostenplan enthält Umrüstung der Strecke auf elektronische Stellwerkstechnik •
Zusätzlicher Mittelbedarf der DB bleibt unverändert


[www.deutschebahn.com]
Und die nächste Hiobsbotschaft: Wegen der Sperrung von Geldern für den neuen Bundeshaushalt werden die Investitionen in den Bahnausbau gekürzt.

>> Durch die aus dem Urteil [des Bundesverfassungsgerichts] «entstandenen Unsicherheiten in der Finanzierung bedurfte es einer kurzfristigen Priorisierung der Infrastrukturmaßnahmen», schrieb der Vorstandsvorsitzende der DB InfraGo, Philipp Nagl, Ende Januar in dem Brief an den Aufsichtsrat. Die DB habe im Einklang mit dem Bundesverkehrsministerium «eine Priorisierungsreihenfolge mit Fokus auf das Bestandsnetz festgelegt.» <<

Beim Ausbau Uelzen - Halle (Güterzugkorridor Ost) sind z.B. 773 Millionen Euro kurzfristig nicht abrufbar.

dpa-Meldung via ZEIT ONLINE: [www.zeit.de]

Nachtrag: Siehe auch Tagesschau:

>> Wegen Haushaltskürzungen: Sind die Neubaupläne der Bahn weitgehend gestoppt?

Stand: 02.02.2024 15:50 Uhr

Weil die Ampel-Regierung sparen muss, stehen bei der Bahn offenbar fast alle Neubauprojekte auf der Kippe. Das berichten mehrere Medien. Darunter seien auch mehrere wichtige Bahnprojekte für die Wirtschaft. <<

[www.tagesschau.de]



1 mal bearbeitet. Zuletzt am 03.02.2024 09:44 von Manfred Erlg.
Was ist an dem Artikel des SPIEGEL dran? Was wurde gekürzt?

Inzwischen gibt es einige ausführliche Artikel zum Thema. Es geht um Gelder für die nächsten vier Jahre. Gegenüber früheren Jahren wird es mehr Geld für die Bahn geben. Gekürzt werden Planungsansätze aus der Zeit vor dem Urteil des Bundesverfassugsgericht:

Ursprünglich 45 Mrd versprochen >> dann 39,5 Mrd im Haushaltsentwurf >> schließlich 27 Mrd im Haushalt

Dazu ein Artikel vom Redaktionsnetzwerk Deutschland:

[www.rnd.de]

Zitat

Weniger Geld zur Verfügung: Bericht: Stoppt die Ampelkoalition Großprojekte beim Bahnausbau?

Das Magazin „Der Spiegel“ schlägt Alarm: Laut einer Vorabmeldung hat die Deutsche Bahn durch den Sparkurs der Ampel deutlich weniger Geld für den Streckenausbau zur Verfügung als geplant und müsse wichtige Großprojekte verschieben. DB-Konzern und Verkehrsministerium widersprechen.

Der Artikel schließt mit diesem Absatz:

Zitat

Von der Deutschen Bahn hieß es, der Konzern werde grundsätzlich unverändert an den Neu- und Ausbauvorhaben festhalten. „Aufgrund der aktuellen Haushaltslage war es kurzfristig erforderlich, die zeitliche Abfolge dieser Vorhaben zu überprüfen“, heißt es in einer Stellungnahme der Bahn. Der Fokus bei der Umsetzung liege, wie mit dem Bund vereinbart, zunächst auf der Modernisierung und Erneuerung des Bestandsnetzes und auf den Projekten, die bereits im Bau sind. Laut dem Konzern steht fest: „Die Finanzierung der ersten Generalsanierungen und der Erhalt des Bestandsnetzes sind für 2024 und 2025 absehbar im Haushalt gesichert.“ Bis zur Verabschiedung der neuen DB-Finanzplanung durch den Konzernaufsichtsrat im März würden Lösungen erarbeitet, die eine Fortführung der Planung bis zur vollständigen Klärung der Finanzierung sicherstellen. Ziel sei es, eine Verlängerung von Projektzeiten zu verhindern.

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Eine ausführliche Betrachtung des Themas gibt es auch beim Bayerischen Rundfunk:

[www.br.de]

Zitat

Spardruck des Bundes: Die Folgen für die Bahn

Die Bundesregierung muss sparen - auch im Verkehrsetat. Reicht das Geld trotzdem, um die Bahn fit zu machen und mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen? Bahnbranche und Klimaschutzverbände sagen "Nein". Minister Wissing widerspricht. Wer hat recht?

Zitat

Wissing weist die Kritik von sich. Der Schwerpunkt der Investitionen liege weiterhin auf der Schiene. Priorität habe dabei die Sanierung des Netzes: "Bahnfahren muss zuverlässiger, pünktlicher und besser werden." Die Verspätungen von heute gingen auf die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte zurück, erklärte der FDP-Minister im Bundestag.

Zitat

Wer hat nun recht? Richtig ist, dass der Bund die Mittel für die Bahn deutlich aufstockte: Rund 27 Milliarden Euro sollen in den nächsten vier Jahren in die Schiene fließen. Vor allem die Deutsche Bahn AG kann aufatmen. Der Bund erhöht stark das Eigenkapital des Unternehmens. Das Geld soll in die Generalsanierung viel befahrener Strecken fließen, die im Sommer beginnt.

Richtig ist aber auch, dass viel mehr Geld für den Schienenverkehr vorgesehen war. Im Haushaltsentwurf war noch von 39,5 Milliarden Euro die Rede, der Koalitionsausschuss hatte im vergangenen Jahr sogar 45 Milliarden Euro versprochen. Jetzt sind es also 18 Milliarden Euro weniger. Zudem werden wichtige Förderprogramme und Mittel gekürzt.

Zitat

Nach den Kürzungen im Verkehrshaushalt soll die Deutsche Bahn Neubauprojekte zusammenstreichen oder verschieben, melden Medien. Eine Bahn-Sprecherin formuliert das so: Der Fokus liege "zunächst auf der Modernisierung und Erneuerung des Bestandsnetzes und auf den Projekten, die bereits im Bau sind".

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Es stellt sich die Frage, wie die vielen Projekte, die derzeit beschlossen oder noch in Planung sind, ausgeführt werden können. Wie leistungsfähig sind die Planungsbüros, die Genehmigungsbehörden und die Bauindustrie bei steigendem Fachkräftemangel?
Zum derzeitigen Zustand der Bahn verweise ich auf ein aktuelles Interview mit einem Verkehrswissenschaftler. Es findet sich im Onlineangebot von Spektrum der Wissenschaft:

[www.spektrum.de]

Zitat

Schienenverkehr: »Die Gründe für die Misere der Bahn sind teils 120 Jahre alt«

Unpünktlich, überlastet, veraltete Technik – die Deutsche Bahn macht keine gute Figur. Woran das liegt und warum nun selbst Tricksereien nicht mehr helfen, erklärt Verkehrswissenschaftler Ullrich Martin.

Die Deutschen beschweren sich gerne – besonders über die Unpünktlichkeit der Deutschen Bahn. Zu Recht? Ein Blick in Statistiken sagt: Ja. Im europäischen Vergleich kamen bereits im Jahr 2012 nur in Portugal und Litauen noch weniger Züge pünktlich an ihrem Zielort an als in Deutschland. Die Schweiz etwa will deshalb deutsche Fernverkehrszüge künftig nur noch bis Basel fahren lassen anstatt bis nach Zürich oder Chur. Die verspäteten ICEs bringen den fein abgestimmten Fahrplan der Schweizer Bahn aus dem Takt. Es ist also längst kein diffuses Gefühl mehr, dass bei der Deutschen Bahn etwas mächtig aus dem Gleichgewicht geraten ist – selbst dann, wenn gerade keine Gewerkschaft zum Streik aufruft. Zuletzt sagte der für den Personenfernverkehr zuständige Bahn-Vorstand Michael Peterson der »Augsburger Allgemeinen«, dass man nach Abschluss einiger Baustellen wieder eine Pünktlichkeitsquote von mehr als 80 Prozent erreichen wolle. Der Verkehrswissenschaftler Ullrich Martin von der Universität Stuttgart ist allerdings skeptisch, ob das ohne tief greifende Veränderungen und umfassende, flächendeckende Infrastrukturprojekte überhaupt möglich ist.

Aus dem Interview zum Thema Bahnausbau:

Frage: Aber die Bundesregierung hat große Pläne mit der Bahn – zumindest auf dem Papier. Sie will die Verkehrsleistung im Fernverkehr bis 2030 verdoppeln, auch sollen immer mehr Güter vom Lastwagen auf die Schiene wechseln. Wie soll das gehen, ohne dass das gesamte System völlig entgleist?

Antwort: >> Also zunächst einmal halte ich es für illusorisch, die Bahninfrastruktur in Deutschland umfangreich zu erweitern. Das hat auch mit dem Föderalismus zu tun. Man braucht von Stuttgart nach Bremen gegenwärtig knapp sechs Stunden – unter anderem weil der Zug im Ruhrgebiet zur S-Bahn wird und viel zu oft hält. Aber Deutschland ist außerdem sehr dicht besiedelt. Hier leben rund 230 Personen auf einem Quadratkilometer [...]. Zudem leben die Menschen in Deutschland sehr weit verstreut. Es gibt wenig große Metropolen, in denen sich die Einwohner konzentrieren. Und dann gibt es noch Kuriositäten wie die eingleisige Strecke zwischen Lünen-Preußen und Münster. Das ist ein gut 45 Kilometer langes Stück der wichtigen Hauptstrecke vom Ruhrgebiet nach Norddeutschland. [...] Jeder verspätete Zug auf der Strecke zwingt andere Züge in beiden Richtungen zum Warten. Das summiert sich über den Tag auf. <<

Und es kommt zu einer Thrombose im Schienennetz.

>> Genau. Es gab immer mal wieder Bemühungen, solchen Verkehrsinfarkten zu begegnen, wie etwa ein Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, aber das ist alles immer sehr halbherzig. Und wenn dann irgendwo entlang der Strecke der Schwanz einer Eidechse entdeckt wird, verzögert sich ein Bauvorhaben gleich um mehrere Jahre oder wird ganz abgeblasen. <<

Wahlweise auch ein Juchtenkäfer, brütende Kiebitze oder eine Mopsfledermaus.
Gestern Abend hat die Bahn eine Presseinformation herausgegeben:

[www.deutschebahn.com]

Zitat

Deutsche Bahn: Keine Streichung von Aus- und Neubauprojekten geplant

DB steht zur Umsetzung des Gesamtprogramms für die Eisenbahninfrastruktur •
Haushaltslage führte im Dezember zur Überprüfung der Zeitpläne •
Fokus liegt auf Modernisierung und Erneuerung des Bestandsnetzes

Die Deutsche Bahn (DB) hält unverändert an ihren Aus- und Neubauvorhaben fest. Eine Streichung einzelner Projekte ist nicht vorgesehen, stellt der Konzern angesichts aktueller Berichterstattung klar. Fakt ist, dass es aufgrund der schwierigen Haushaltslage Ende vergangenen Jahres kurzfristig erforderlich war, die zeitliche Abfolge der Vorhaben zu überprüfen. Projekte, die bereits im Bau sind, werden unverändert fortgeführt. Bei allen anderen Projekten werden die Planungen fortgesetzt, um zeitliche Verzögerungen zu vermeiden, bis die Finanzierung vollständig geklärt ist. Dazu steht die DB in intensiven Gesprächen mit dem Bund. [...]
Danke für deine vielen Links und Gedanken. Da ich diesen leider selten was hinzuzfügen habe, weil ich mich in diesem Thema oft einfach nur anschließen kann, wollte ich hiermit einmal herzlichen Dank aussprechen.
Wenn es zutrifft, dass Bahnfahren auch in Zukunft nur wenigen Menschen vergönnt sein wird, dann müssten doch eigentlich im Sinne einer Verkehrswende Fernomnibuslinien in Betracht gezogen werden, um den Ausstieg aus der Auto-Gesellschaft herbeizuführen.
Die Autobahnen könnten auf Tempo 80 limitiert werden. Und es könnten eigene Busspuren auf der Autobahn eingerichtet werden, die nur Fernbusse befahren dürfen.
Ist das jetzt zu radikal gedacht oder ist es zu realistisch gedacht, sodass es keiner hören will?
Und was müsste noch passieren, um wirklich eine Verkehrswende herbeizuführen?
Zitat
Jules
Wenn es zutrifft, dass Bahnfahren auch in Zukunft nur wenigen Menschen vergönnt sein wird,

Diese Prämisse verstehe ich nicht. Worauf beziehst du das?
Zitat
Jules
Ist das jetzt zu radikal gedacht oder ist es zu realistisch gedacht, sodass es keiner hören will?

Weder noch. Es ist ist lediglich Quark.
Die Bahn hat heute früh eine Presseinformation zum Umfang der Bauarbeiten im Jahr 2024 herausgegeben:

Zitat

Umfassendes Infrastruktur-Programm:
DB erneuert 2024 tausende Weichen, Gleiskilometer und modernisiert Bahnhöfe


Fokus der Investitionen auf Bestandsnetz und Bahnhöfe: über 2.000 Kilometer Gleise, 2.000 Weichen, 150 Brücken und 1.000 Bahnhöfe werden erweitert, modernisiert und erneuert • 5.500 neue Mitarbeitende für Instandhaltung und Ausbau •
DB-InfraGO-Chef Nagl: „Zum ersten Mal seit vielen Jahren wird es uns 2024 gelingen, die Überalterung der Eisenbahninfrastruktur zu stoppen.“

Die neue, gemeinwohlorientierte DB InfraGO AG bringt 2024 ein umfassendes Infrastrukturprogramm auf den Weg. Dabei stehen das Bestandsnetz und die Bahnhöfe im Fokus: über 2.000 Kilometer Gleise, 2.000 Weichen, 150 Brücken und 1.000 Bahnhöfe erweitert, modernisiert und erneuert die DB in diesem Jahr. Mit diesem Programm im Rahmen der Konzernstrategie Starke Schiene wird die vorhandene Infrastruktur leistungsfähiger und robuster und mehr Kapazität im Schienennetz geschaffen.

Zudem startet auf der Riedbahn zwischen Frankfurt/Main und Mannheim im Juli die erste Generalsanierung eines hochbelasteten Korridors, weitere 39 Generalsanierungen sollen in den kommenden Jahren folgen. Die Investitionen von DB, Bund und Ländern in die Schieneninfrastruktur summieren sich allein 2024 auf rund 16,4 Milliarden Euro. Mit 5.500 neuen Mitarbeitenden für Instandhaltung und Ausbau wächst das Team für ein leistungsfähiges Schienennetz auch 2024 weiter.

Dr. Philipp Nagl, Vorstandsvorsitzender der DB InfraGO AG: „Wir machen die Bahn besser - Projekt für Projekt, Bauabschnitt für Bauabschnitt. Gemeinwohlorientierung heißt für uns: Die Menschen und die Wirtschaft in Deutschland sollen schnelle und nachhaltige Verbesserungen im Schienennetz spüren. Dafür sanieren wir viele Abschnitte im gesamten Bundesgebiet ­– auf Hauptstrecken und im Flächennetz. Zum ersten Mal seit vielen Jahren wird es uns 2024 gelingen, die Überalterung der Eisenbahninfrastruktur zu stoppen. Die DB InfraGO ist schneller, effizienter und schlagkräftiger.“

Die Investitionsoffensive orientiert sich maßgeblich an den zentralen Handlungsfeldern der DB InfraGO AG:

• Das hoch belastete Netz saniert die DB bis 2030 von Grund auf, gebündelt in 40 Hochleistungskorridoren. Die erste Generalsanierung startet am 15. Juli 2024 auf der Riedbahn zwischen Frankfurt/Main und Mannheim.
• Von den Vorbereitungen dafür profitiert auch das Flächennetz. Umleitungsstrecken für die Korridorsanierungen erneuert die DB InfraGO AG vorab für einen robusten Zugverkehr. Bereits im Februar und März haben die Bauteams eine Vielzahl notwendiger Instandhaltungsarbeiten an Weichen, Gleisen, Technik und Oberleitung auf der Alsenz- und der Ludwigsbahn sowie an der Main-Neckar-Bahn durchgeführt. Weitere Strecken bundesweit sind bereits in Planung.
• An rund 1.000 Bahnhöfen und Haltepunkten laufen 2024 Modernisierungs- und Neubaumaßnahmen, darunter in den Hauptbahnhöfen Duisburg, Dresden, Hannover, Ulm und München. Auch in zahlreiche kleinere und mittelgroße Stationen investiert die DB, etwa in barrierefreie Zugänge, Wetterschutz und Fahrgastinformation.
• Bis Ende 2030 werden 355 kleine und mittlere Maßnahmen die Qualität im Bestandsnetz verbessern. Zu den Projekten zählen infrastrukturelle Maßnahmen wie weitere Überleitmöglichkeiten, zusätzliche Signale und Gleiswechselbetriebe oder neue Bahnsteige. So erweitert und erneuert die DB beispielsweise rund um Aschaffenburg die Stellwerks- und Signaltechnik, um einen Gleiswechselbetrieb zu ermöglichen. Bis Ende 2025 werden bereits rund 40 Prozent dieser Maßnahmen umgesetzt sein.
• Für den digitalen Bahnbetrieb baut die DB weitere moderne Stellwerke. In Donauwörth ist das erste Digitale Stellwerk an einer Hauptstrecke im März erfolgreich in den Betrieb gestartet. In diesem Sommer wird es offiziell eröffnet.
• Die Serviceeinrichtungen, an denen jede Zugfahrt beginnt und endet, packt die DB InfraGO ebenfalls an. Bis 2030 sollen 145 Standorte modernisiert und erweitert werden. In Recklinghausen Ost bspw. schafft die Versetzung eines Signals Platz für 740 Meter lange Güterzüge.
• Durch Aus- und Neubau sowie Elektrifizierung von Strecken schafft die DB InfraGO neue Kapazitäten, um den Deutschlandtakt Stück für Stück umzusetzen. Bereits im ersten Quartal wurde das zweite Gleis der Weddeler Schleife zwischen Braunschweig und Wolfsburg in Betrieb genommen. Für den viergleisigen Ausbau der Strecke Hanau–Gelnhausen fand jüngst der Spatenstich statt.

Ziel all dieser Maßnahmen ist es, eine hohe Verfügbarkeit der Infrastruktur und einen stabilen Betrieb zu sichern. Dr. Nagl weiter: „An diesen Zielen lassen wir uns messen. Wir werden unser Versprechen Ende des Jahres einlösen: Die Riedbahn ist runderneuert und wir haben tausende unserer Anlagen modernisiert.“

Hoffentlich schaffen sie es, einen ordentlichen SEV zu organisieren. Kürzlich hat es eine Meldung gegeben, dass es Probleme bei der Anheuerung von ausreichend Busfahrern gibt.
Bericht des RedaktionsNetzwerks Deutschland vom 5. Mai 2024 über die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht:

Zitat

Sanierungstempo zu niedrig: Infrastruktur in Deutschland verfällt immer weiter

Straßen, Schienenwege und Brücken sind vielerorts marode. Deshalb wird auch viel saniert. Doch das Tempo reicht noch nicht einmal aus, um den Verfall zu stoppen. Das ergibt sich aus Zahlen, die die Partei BSW beim Bundesverkehrsministerium erfragt hat.

Weiterlesen: [www.rnd.de]
Gelöscht - doppelt



1 mal bearbeitet. Zuletzt am 12.08.2024 10:43 von bukowski.
Zitat
oskar92
Endlich mal was Konstruktives von der FDP:
Modellprojekt: FDP plant erste menschenfreie Innenstadt

Kann man die FDP-Umwelt- und Verkehrspolitik eigentlich noch ernsthaft diskutieren oder kann man darauf nur noch mit Sarkasmus reagieren?


Wenn selbst im Postillon (mit einem Jahr Vorlauf) eine wahre Meldung veröffentlicht wird:
[www.faz.net]


Die FDP ist unheimlich.



1 mal bearbeitet. Zuletzt am 12.08.2024 10:42 von bukowski.
Zur Misere der Bahn ein Video (27 min) von Simplicissimus vom Juni:

"Wird die Deutsche Bahn jemals besser?"

[www.youtube.com]
Zitat
PassusDuriusculus
Zitat
Jules
Wenn es zutrifft, dass Bahnfahren auch in Zukunft nur wenigen Menschen vergönnt sein wird,

Diese Prämisse verstehe ich nicht. Worauf beziehst du das?

Es gibt in Deutschland zu wenige Eisenbahnverbindungen, um den Mobilitätsbedarf zu decken, der entstünde, wenn ein großer Teil der Bevölkerung oder gar alle mit der Verkehrswende Ernst machen würden und dementsprechend ihre Autos stilllegten und keine Flüge mehr antreten.

Für den Güterverkehr wäre das kein Problem, wenn kein privater PKW-Verkehr mehr stattfände, denn ein großer Teil des Güterverkehrs wird ohnehin schon auf der Straße abgewickelt. Und diese Straßen stehen ja weiter zur Verfügung, auch wenn darauf kein privater PKW-Verkehr mehr stattfindet.

Aber für den Personenverkehr würden sich erhebliche Probleme ergeben, wenn keine Personenflüge und kein privater Autoverkehr mehr stattfänden. Wollten diese Personen alle weiterhin mobil sein, dann sind sie auf öffentlichen Personen -nah und -fernverkehr in Form von Bussen und Bahnen angewiesen. Deshalb hatte ich geschrieben: "Wenn es zutrifft, dass Bahnfahren auch in Zukunft nur wenigen Menschen vergönnt sein wird, ..." Es ist doch zurzeit so, dass es nur wenigen Menschen vergönnt ist Bus- und Bahn zu fahren. Würden deutlich mehr Menschen den Anspruch erheben, mit Bus- und Bahn mobil zu sein, dann ginge das nicht, weil dafür die Kapazitäten fehlen.

Die Kapazitäten im schienengebundenen Personen -nah und -fernverkehr sind aktuell deutlich zu gering und könnten auch nur sehr langsam und langfristig gesteigert werden. Dagegen ist Omnibusverkehr sehr viel schneller ausbaufähig. Denn für den Omnibusverkehr gibt es bereits zahlreiche Straßen, und wenn die vom privaten Autoverkehr nicht genutzt werden, dann ist es zum Beispiel möglich, die Fahrspuren auf Autobahnen ganz neu aufzuteilen. Zum Beispiel die rechte Fahrspur, oder beide rechten Fahrspuren für den Güterverkehr mit Tempo 80 max. wie bisher. Und die linke Fahrspur für den Schnellbusverkehr mit Tempo 100 max., also so schnell wie auch heute schon entsprechend ausgerichtete Reisebusse fahren dürfen.
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