der weiße bim schrieb:
>
> Hallo Ingolf, ich schrieb ausdrücklich
> "eigentlich" ;-) !
Was nicht alles eigentlich oder uneigentlich ist ... ;-))
>
> Bereits im Giese-Plan von 1916 (...)
Das interessante ist übrigens, dass der recht intensive Ausbau der U-Bahn in den 1920er Jahren nicht zu einer nennenswerten Vergrößerung des Anteils der U-Bahn an den Verkehrsanteilen innerhalb des Berliner ÖPNV führte. So erstaunlich das auch aus heutiger Sicht klingen mag - viele der (neuen) U-Bahn-Strecken waren damals nicht besonders beliebt und auch nicht übermäßig ausgelastet.
Man sollte bei diesen ganzen Planungen eben genau den damaligen Kontext nicht vergessen - was Du ja schon zum Teil geschrieben hast.
So gab es damals schon ein Konkurrenzdenken zwischen den städtischen Planungen (für die BVG) und denen der Reichsbahn (S-Bahn). Daher ist durchaus denkbar, dass man sich eher für die heutige U5 denn für eine Weißenseer U-Bahn entschieden hat...
Ansonsten beruhten die Planungen damals alle auf einem zu erwartenden großen Stadtwachstum, auch im Norden und Nordosten der Stadt. Zudem hat man lange Zeit der Straßenbahn nicht die Beförderungskapazität und -geschwindigkeit zugetraut, wie sie heute erreichen kann, wenn man sie angemessen im Straßenraum berücksichtigt. Auch heute zeigen sich viele (Fach-)leute erstaunt über die Beförderungsleistungen so mancher (auch neu gebauter) Straßenbahnstrecke.
> 1968 wurde in einer Studie durch die BVG (Ost) mit
> einem damaligen Verkehrsaufkommen von knapp 10.000
> Personen pro Spitzenstunde in Weißensee in der
> Hauptrichtung erneut der U-Bahnbau begründet.
> 1980 entschied man sich bei einer Prognose von
> 11.000 Plätzen pro Spitzenstunde in Hellersdorf
> ebenfalls für die U-Bahnverlängerung und gegen
> eine Zubringerstraßenbahn zur S-Bahn wie in Hsh
> und Marzahn.
Na ja, ab diesem Wert kommt man ja in den Bereich, wo die Straßenbahn langsam an ihre Kapazitätsgrenzen kommt. Daher war diese Entscheidung in Hellersdorf nicht falsch.
Vor allen auch, weil die U-Bahn auch sehr preiswert vor allem and er Oberfläche gebaut werden konnte.
Hohenschönhausen und Marzahn wurden nicht "nur" nach dem Prinzip S-Bahn und Zubringertram erschlossen, sondern es war (das war und ist leider sonst in der Berliner ÖPNV -Planung nicht üblich) ein integriertes Konzept, welches die Verkehrsströme auf beide Verkehrsträger verteilt und so ein Höchstmaß an an für den Fahrgast attraktiver Schienenverbindungen anbietet.
Mit dem Bau von "billigen" Oberflächen-S-Bahnen konnte man sich den Bau der ca. 26 km zusätzlicher flächenerschließender Straßenbahnen leisten. Damit hat man einen höheren Nutzen erreicht, als mit vielleicht einer oder maximal zwei U-Bahn-Achsen und dann erforderlichen Unmassen an Zubringerbussen.
Die Straßenbahn hat aus Marzahn beispielsweise die Hauptrolle zur Anbindung der Lichtenberger Industriegebiete gespielt, ebenso wie als Verbindung von Hohenschönhausen und Weißensee (wo ja auch viel Industrie zu finden war). Ähnlich konzipiert war die Anbindung von Hellersdorf, hier hat die Straßenbahn neben der U-Bahn auch immer eine Rolle gespielt.
So kurios das auch klingen mag, von diesem integrierten Ansatz könnte die heutige Berliner ÖPNV-Planung durchaus noch etwas lernen ;-)
> Bei Millionenstädten mit Straßenbahn- und
> U-Bahnnetz fallen mir nicht viele ein: weder
> London noch Paris verfügen über ein
> zusammenhängendes Straßenbahnnetz, und in Wien
> erweitert man munter die U-Bahn, nicht die Tram.
Wien mach sich mut seiner U-Bahn-Planung lächerlich: Man plant ernsthaft U-Bahnen in Bereiche, wo wirklich nichts zu finden ist (außer ein paar Bauernhöfen und Feldern). Die jüngste U-Bahn-Verlängerung (U1 Nord) ist zudem ein absolutes verkehrliches Desaster, da sie gerade mal eine Nachfrage von 8.500 Fahrgästen/ Tag an sich bindet.
Doch zu den anderen Städten im westlichen Europa:
1. U-Bahn-Städte, die die Straßenbahn in den letzten Jahren neu eingeführt haben:
London, Paris, Lyon, Marseille (eine kurze Linie hatte überlebt, jetzt wird ein Netz aufgebaut), Barcelona, Athen, Stockholm (ähnlich wie Marseille), Madrid, Valencia, Bilbao, Sevilla (beides in Bau), Dublin (Tram neue eingeführt, U-Bahn-ähnliche Stadtbahn in Planung)
2. U-Bahn-Städte, die ihre Straßenbahn nie ganz aufgegeben haben und in den letzten Jahren (seit ca. 1995) Straßenbahnneubaustrecken in Betrieb genommen haben:
Mailand, Rom, Turin (U-Bahn ist neu), München, Nürnberg, Brüssel, Amsterdam, Rotterdam (dort gab es aber auch Stilllegungen), Oslo
3. Städte die ihre U-Bahn ausbauen und Straßenbahnen stilllegen:
Wien
4. (Millionen-)Städte die U-Bahnen haben und keine Straßen bahn haben:
Hamburg, Kopenhagen.
Jetzt kann man mal gut vergleichen, was ein europäischer Trend - auch in U-Bahn-Städten - ist... ;-)
> Der Bezirk Pankow ist nicht nur der größte Bezirk,
> sondern auch der mit dem größtem
> Bevölkerungswachstum, sogar die
> Altbau-Sanierungsgebiete wachsen wieder.
> Auf 350.000 Einwohner kommen ganze fünf
> U-Bahnhöfe.
Solche pauschalen Aussagen bringen nichts, wenn es um eine Beurteilung der lokalen Verkehrsverhältnisse geht:
1. Diese Sanierungsgebiete sind alle sehr innenstadtnah, so dass eine U-Bahn nicht für eine Reisezeitverkürzung sorgen würde. Ganz im Gegenteil, bei einem Ersatz von Straßenbahnstrecken durch U-Bahnen ergäben sich sogar längere Gesamtreisezeiten (längere Zugangswege) und ein Zerschlagen der gegenwärtigen Flächenerschließung.
2. Diese Stadtteile sind zudem durch ein flächiges und gut nachgefragtes Straßenbahnnetz erschlossen. Der Anteil des ÖPNV ist hier einer der höchsten in Berlin, die Motorisierungsquote ist eine der niedrigsten. Der ÖPNV wird als gut wahrgenommen und auch dementsprechend genutzt. Übrigens zeigen Erfahrungen in der Verkehrsplanung, dass ein Ersatz von Straßenbahnstrecken durch U-Bahnen im Kurz- und Mittelstreckebereich (je nach Bedingungen bis ca. 5-10 km) nicht zu Fahrgastzuwächsen geführt hat. In vielen Beispielen wurden sogar Verluste nachgewiesen. Das wäre hier nicht anders.
> Für das Verkehrsgebiet Weißensee nicht relevant,
> selbst die Straßenbahn aus Hsh. erreicht die
> Innenstadt in vergleichbarer Zeit wie die
> periphere S-Bahn. Von den langen Wegen zum
> S-Bahnhof wollen wir gar nicht reden.
Diese S-Bahnen nehmen jedoch ein nicht unwesentlichen Teil des Verkehrs aus den Großsiedlungen auf, so dass die eine Grundlage dafür darstellen, dass man auf neue radiale (und wesentlich teurere U-Bahnen) verzichten kann.
Ich verweise immer wieder gerne darauf, dass die damalige Planung einen integrierten Ansatz von Schnellbahn an der Oberfläche und Straßenbahn vorgesehen hat. Und dieses System funktioniert bis heute sehr gut.
> > Wo sind die Arbeitsplätze in Weißensee?
>
> Sie sind den Bach runter gegangen, weil die
> infrastrukturellen Nachteile den Standort
> unattaktiv machen.
Sorry, aber das ist irgendwie Unfug. Sie sind den Bach runter gegangen, wie die gesamte andere ostdeutsche Wirtschaft kaputtgegangen ist. Da hätte Weißensee noch so viele Autobahnen oder U-Bahnen haben können. Zudem ist der Autobahnring (A10) relativ schnell zu erreichen, was für den industriellen Wirtschaftsverkehr wesentlich interessanter, als eine Stadtautobahn ist.
Viele Grüße
Ingolf